Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
elenden Landräuber?“
„Langsam, langsam, mein Sohn!“ Raymond streckte die Hand nach Roç aus. „Auf eine offene Schlacht lassen sich unsere Feinde derzeit nicht ein. Burg für Burg, Ort für Ort, so ihr Plan. Meine Gewährsleute berichten allerdings, dass Montfort unter großem Druck steht. Rom will Ergebnisse sehen.“
„Ergebnisse? Damit die Gräuel, die die Kreuzfahrer anrichten, vor aller Welt gerechtfertigt sind?“ Ungehalten strich sich Roç das dunkle Haar hinter die Ohren.
„Nun, ich denke, irgendwann wendet sich das Blatt“, warf Miraval ein. „Vielleicht schon bald. Gott lässt seiner nicht spotten!“
Erneut meldete sich Leonora zu Wort: „Ich bitte Euch heute Abend nur um eines, Herr von Miraval“, sagte sie mit fester Stimme zum Sänger, „singt nicht wieder Euer Lied auf die angeblich sittenlosen und törichten Priester unserer heiligen Mutter Kirche!“
Sancha bemerkte belustigt, wie der Troubadour bis in die Haarspitzen errötete. Er verneigte sich höfisch, während Raymond verlegen auf seine Hände starrte.
Erwartungsvoll huschten Sanchas Augen von einem zum anderen. Sie war zwar nicht zänkisch veranlagt, doch Dispute dieser Art gefielen ihr. Dennoch trieb es sie, der Schwester beizustehen. Sie zog den zarten Pelz enger um den Hals und beugte sich zu Miraval hinüber: „Ausgerechnet Ihr als Sänger behauptet, Gott ließe seiner nicht spotten? Bestimmt habt Ihr Euer halbes Leben zur heidnischen Farandole aufgespielt!“
Nun starrten alle sie entgeistert an; doch Sancha genoss die Aufmerksamkeit.
Miraval sah ihr offen in die Augen. „Ich leugne meine Worte nicht, Doña Sancha“, antwortete er leise, „doch man spottet Gott nicht, indem man alte Tänze pflegt, Lieder singt oder miteinander lacht, sondern indem man Schätze anhäuft und sich auf goldene Kissen bettet, während der Nachbar hungert.“ Er hob die Brauen: „Man höhnt Gott sogar auf allerschlimmste Weise, wenn man es zulässt, dass zwanzigtausend Unschuldige ums Leben kommen, wie es in Béziers geschah. Frauen, Männer, Kinder, unterschiedlichen Glaubens, aber doch allesamt nach Gottes Bild erschaffen.“
Sancha wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Leonora eingriff. Die Nadel, die sie in der rechten Hand hielt, aufrecht wie eine Lanze, zitterte. „Habe ich Euch nicht gerade gebeten, Miraval, die Kirche und ihre Verantwortlichen aus dem Spiel zu lassen?“, sagte sie ärgerlich.
„Meine liebe Leonora, beruhigt Euch“, beschwichtigte der König. „Wir alle sind fromme Christen. Doch niemand sollte aus falsch verstandener Gottesliebe und Kirchentreue leugnen müssen, dass die verantwortlichen Prälaten vor Béziers schwere Fehler gemacht haben.“
Raymond, Roç und Miraval klopften zustimmend auf den Tisch.
„Unverständlich finde ich es nur“, sagte Sancha, um den Streit noch ein wenig anzufachen, „dass Gott bislang keinen dieser Bischöfe zur Rechenschaft gezogen hat." Sie langte sich gespielt an die Stirn. "Oh, ich vergaß ... einen traf ja wohl sein Zorn, wie man so hört.“
„Sancha!“, rief Leonora empört und nun legte sie ihr Nadelzeug endgültig zur Seite. "Es geziemt sich nicht, solche Reden über die Geistlichkeit zu führen. Was ist nur heute wieder mit dir los?"
Doch über Miravals Gesicht war bereits ein Schmunzeln gelaufen. „Spielt Ihr auf Bartomeu an, Do ñ a Sancha, den verschwundenen Erzbischof von Cahors?“
„Aber ja. Eine sonderbare Geschichte, die mir immer wieder in den Sinn kommt. Es heißt, er sei mitten in der Nacht aus dem Lager der Kreuzfahrer verschwunden, unter Zurücklassung seines Zeltes und seiner ganzen Habe. Auch sein Diener, ein Maure, wird noch immer vermisst. Dieser Bartomeu galt schließlich als einer der Finanziers des Kreuzzuges, nicht wahr? Hat ihn nun die Strafe Gottes ereilt? Oder was meint Ihr dazu?“
„ Jhesu Crist , mitten im Sommer wird er nicht unter die Wölfe gefallen sein!“, warf Roç reizbar ein.
„Nein, das wohl nicht. Aber vielleicht doch unter die ... Ketzer, was ja, wie Rom behauptet, auf dasselbe hinausläuft.“
Pedro hüstelte. „Nun, einmal in der Leute Mund kommt ein Gerücht wohl nur schwer wieder heraus“, meinte er und verwies auf eine weitere üble Geschichte über diesen Mann. Dann jedoch schickte er seine Schwestern - gänzlich unvermittelt, wie es Sancha vorkam - auf ihre Kemenaten, um, wie er sagte, eine „Kriegsbesprechung unter Granden und Rittern“ zu führen.
Ein aufmerksamer Blick in Sanchas Gesicht
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