Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
„obendrein nicht von Adel, sagen die Mönche. Mir ist`s gleich. Ich achte, wie mein Vater die Paratge . Und jetzt lass mich schlafen.“
Keiner sagte mehr ein Wort, auch nicht Damian. Bernard atmete erleichtert auf und bekreuzigte sich. "Gott sei gelobt und gedankt!", flüsterte er. Und während er noch ein weiteres Gebet vor sich hin murmelte, weilte er in Gedanken bereits bei dem Gespräch, das er morgen mit dem Abt und Bruder Marcellus führen musste.
„Nehmt diesen Vorfall nicht so ernst, meine lieben Brüder“, beruhigte sie der Abt. Bosons Haut war durchscheinend wie Marienglas und so gebrechlich wirkten auch seine Glieder. Ein Fremder hätte ihm wohl keine zwei Wochen mehr auf Erden zugestanden. Tatsächlich schonte er sich seit langem, kaum dass er noch regelmäßig am Arm seines Dieners die Messe aufsuchen konnte. Halb bedauernd, halb ironisch, pflegte er über sich zu sagen, der Tod streichle ihn täglich und er verglich den Schnitter mit dem Duft der Myrrhenbäume, der sich im Sommer, bei Westwind, so hartnäckig in seiner Wohnung festsetzte.
„Der Novize ist von Adel, gleich was die Mönche sagen“, fuhr er geduldig fort, während Bernard und Marcellus steif auf der Bank saßen, hinter sich die Porträts ehemaliger Äbte. „Wir verdanken seiner Mutter unsere kostbarste Reliquie. Sie hat sie vor den Horden der Kreuzfahrer hierher in Sicherheit gebracht. Es gab allerdings“, Boson hüstelte, „einige unüberwindbare Hürden, die ihre Heirat mit dem ebenfalls adligen Vater des Jungen verhinderten. Aus diesem Grunde wird man den Novizen freilich als Bastard bezeichnen können. Ihr achtet mir ganz besonders auf ihn, Bruder Marcellus, und stellt ihn mir im nächsten Jahr zur zweiten Prüfung vor.“
Der Novizenmeister, mit feisten Armen und riesigen Bauernhänden ausgestattet, fuhr sich unruhig über den rotbraunen Haarkranz. Er wusste längst aus welchem Stall der Knabe kam. Bestimmte Vögelchen überwanden selbst baumhohe Klosterpforten. Marcellus nickte zustimmend, warf dann jedoch einen hoffentlich nicht zu übersehenden Blick auf Bernard, im Vertrauen, dass der Abt den Custodia entließ. Doch Boson reagierte nicht.
„Der Novize soll schon in Kürze die zweite Prüfung ablegen, Ehrwürdiger Vater?“, fragte Bernard vorsichtig. „Ohne Beschluss der Konventsversammlung?“
„Er ist in der Tat noch viel zu jung, um tonsuriert zu werden“, meinte auch der Novizenmeister. „Er wird die Prüfung nicht bestehen.“
„Er wird“, sagte der Abt lächelnd. „Ihr werdet alles zur rechten Zeit erfahren, liebe Brüder.“
Während Bernard, dessen Wangen vor Aufregung rosig erblüht waren, offenbar glaubte, an dieser Stelle Damians Fleiß und seine Begabung herausstellen zu müssen, gärte es in Marcellus weiter. Schon beim letzten Mal hatte der Alte ein Geheimnis um die Prüfung gemacht. Boson musste endlich mit ihm darüber reden, erklären, was es mit dem Knaben auf sich hatte ...
„Bruder Bernard, Ihr schätzt den Novizen falsch ein“, hielt er daher dem Custodia leicht gereizt entgegen. „Der Junge neigt zum Jähzorn, wie wir gestern gesehen haben. Bedenklich ist auch seine grenzenlose Neugierde. Vor dem missglückten Küchendienst sprach er mich auf die Offenbarung an, die Johannes im Geiste erhalten hat. Stellt Euch vor, Ehrwürdiger Vater, er bat darum, dieses Buch, bei dem es sich doch um ein Mysterium handelt, selber lesen zu dürfen!“
Unmerklich hob der Abt die Brauen. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seinen Mund. „Ach“, meinte er und machte eine wegwerfende Handbewegung, „weshalb verwehrt Ihr ihm das eigenständige Lesen der Heiligen Schrift, Bruder Marcellus? Das Ziel der lectio divina – ich brauche es Euch nicht zu erklären - ist die Selbstbildung des Lernenden. Der eigentlichen lectio , dem Lesen, folgt die meditatio , das Überdenken und die Reflexion des Gelesenen, und dies wiederum gibt Nahrung für die oratio , die innerliche Hinwendung zu Gott im Gebet.“
„Ehrwürdiger Vater“, Marcellus seufzte, „verzeiht ... aber es ist nicht die Hinwendung zu Gott, die den Novizen antreibt, sondern sein Forschungseifer. Vermutlich wird er sich bei Bruder Bernard noch nach der Anzahl der Schwanzhaare des Teufels erkundigen ...“
Mit erhobenen Händen wehrte Bernard ab. „So schlimm steht es nicht, Bruder Marcellus“, meinte er, „Damian ist durchaus lenkbar. Bedenklicher sieht es mit seinem Widersacher aus. Der Novize Olivier tut sich schwer mit dem Latein. Er
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