Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
„Ehr` und Herrlichkeit für eine Laus im Pelz? Du sprichst so komisch, wo kommst du her?“
„Aus tiutschen Landen mag ich kommen, Blitz und Donner, wo es derlei blau Augen vil gibt, und eyn Wort oder drey weiß ich wohl in deiner Sprach zu sprech`, auch wenn die Wort` nicht oft recht sind. Ich studier` vil Jahr an hohen Schulen, bis ich möcht` reisen in ferne Lender, doch zuvor zum finstern Stern beim San Jacob zu Compostel.“
„Ach so, du bist ein Wallfahrer auf dem Weg zum Heiligen Jakobus!“
„Das möcht` so sein, hungrig und durstig bin ich auch.“
Sancha kicherte. Das blaue Auge redete mindestens ebenso schnell wie der „Pferdeschwanz-Fall“ in der Sierre-Madre sein Wasser vergoss. Was sie sich irgendwann zusammenreimte, war, dass Blauauge verletzt war. Ein Hund hatte ihn in die Wade gebissen. In der Hoffnung, ein bestimmter Ochsenkarren bringe ihn aufs Land hinaus, hatte er sich unter der Ladung versteckt, bei Einbruch der Dunkelheit jedoch festgestellt, dass er sich auf dem streng bewachten Gelände des Castillos befand.
Er würde gern ein paar Tage hierbleiben, in dieser Hütte, hatte "Blauauge" gemeint, wenigstens so lange bis die Wunde verheilt sei, und er wieder laufen könne, doch nachdem er hier niemanden kenne, müsse er wohl oder übel verhungern und verdursten. Ach, aber zuvor hätte er noch ein wirklich dringendes Bedürfnis, das er nicht hier in der Hütte verrichten wolle ...
Sancha hatte es als ihre Christenpflicht angesehen, einem Pilger zu helfen. Sie verbarg den rotseidenen Beutel, den sie mit sich herumschleppte, unter ihrem Umhang, gab sich dem Mann gegenüber als Küchenmagd aus, und erklärte ihm den Weg zu den Latrinen, denn das erschien ihr wirklich als das Vordringlichste. „Du kannst jetzt rauskommen, die Luft ist rein!“
Mit einem erleichterten Aufstöhnen und einem neuerlichen „Blitz und Donner!“ war ein langer, blonder Kerl aus dem Verschlag gestürzt und in höchster Eile an ihr vorbei in Richtung Steg gehumpelt.
„Und wenn dich unterwegs einer aufhält, Blauauge“, hatte sie ihm hinterher gerufen, „so sage, Sancha habe es dir erlaubt. Mich kennt hier jeder!“
Von dieser Stunde an hatte sie Hagelstein unter ihren Schutz genommen, ihm sauberes Linnen zum Verbinden seiner Wunde gebracht, frische Kleidung, die sie aus der Gesindekammer entwendete, Wasser, Wein, Brot und Käse. Dieser Mensch gehörte ihr, ihr ganz allein. Bald saß sie im Inneren des Schuppens zu seinen Füßen, um ihm zuzuhören, wenn er von seinen Reisen erzählte, oder aber sie studierte an seiner Seite das wertvolle Buch, das er mit sich herumschleppte und als seinen größten Schatz bezeichnete. Dabei kugelte sie sich oft vor Lachen über seine verschlungene Rede. Doch sie verbesserte ihn auch, lehrte ihn neue Wörter und schalt ihn einen Narren, wenn er sich absichtlich dumm stellte, nur um sie zum Lachen zu bringen: Denn er kam ihr klüger vor als jeder andere, der sich vor ihr im Castillo aufplusterte.
Am vierten Tag, der Hundebiss war schon verschorft, brachte sie ihm neben einem gebratenen Huhn eine fünfschwänzige blaugraue Narrengugel, die ihm nach ihrem Dafürhalten ausnehmend gut stand. Sie hatte sogar ihren wertvollen Spiegel mitgeschleppt und drängte Hagelstein ans Tageslicht zu treten und sich darin zu betrachten. Irritiert runzelte er die Stirn, als er in den Spiegel sah. Er machte absichtlich eine hochnäsige Miene und meinte: „Was mich auch stets mit Freud erfüllt, ist ein ein gar trefflich Heilig-Bild!“
Sancha jubelte. Genauso hatte sie sich immer ihren „trefflichen Hofnarren“ vorgestellt, sollte sie einmal Königin werden. Jetzt musste sie ihn nur noch dazu bringen, dass er die bunten, schellenbesetzten Beinlinge anzog, die sie heimlich beim Schneider in Auftrag gegeben hatte, ein Bein grün, das andere rot, beide besonders lang geschnitten, dann würde sie Blauauge vor Pedro schleppen ...
Der Türklopfer schlug dreimal an. Gala und die Knappen! Sancha bückte sich, um Leonoras Brief aufzuheben. Sie strich ihn glatt und verwahrte ihn in ihrer Schreibkassette.
Nach der üblichen Ehrbezeugung trat Damian vor. „Herrin, stimmt es, dass ein Reiter aus Zaragoza eingetroffen ist?“
Sancha sah den Hoffnungsschimmer in seinen grauen Augen.
„Ja“, antwortete sie kurz angebunden. „Es tut mir leid für dich, Junge. Die Königin hat nichts über den Verbleib deiner Mutter herausgefunden. Aber vielleicht hat der Herr von Miraval mehr Glück. Im anderen
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