Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
Bewaffneter die Meldung überprüfte. Doch die falschen Soldaten waren bereits verschwunden. Die richtigen entdeckten sie in einer benachbarten Kammer, unter einem Haufen alter Umhänge, in einer Lache von Blut. Jemand hatte ihnen die Kehlen aufgeschlitzt.
Das Château Narbonnais war in heller Aufregung, zumal man am Abend die Grafen zurückerwartete. Wie waren die Fremden an den Barbakanen, den Zugbrücken und den scharf bewachten Eingängen vorbeigekommen? Hatte es Helfershelfer gegeben? Und wer steckte als Kopf hinter dem geplanten Anschlag auf Graf Raymond, denn dass es sich um einen solchen gehandelt hatte, stand für viele außer Frage. Montfort? Bischof Fulco? Die Templer von Brucafel? Oder doch Sancto-Romano und seine Weißen Büßer? Angst und Unsicherheit hielten Einzug im Roten Schloss von Toulouse.
„Ich bin so müde, Audiartz , so müde, und ich habe derzeit wieder täglich Schmerzen“, klagte der Graf mit weinerlicher Stimme, als ihm Miraval nach der nächsten Ratssitzung beim Ablegen seines schweren, bestickten Mantels half. „Die Tagesordnung war zu lang. Der Krieg, die Befestigungen der Stadtmauern, die Vasallendienste, Mühlenrechte und Zölle ...“
„Um so schöner war die Belobigung des Knappen.“
Raymond nickte. Er hatte Damian ein wertvolles Kurzschwert überreicht und ihm nach der Schwertleite ein ordentliches Lehen in Aussicht gestellt. „Die Römer und die Griechen forderten einst, erst einen Scheffel Salz mit dem zu essen, den man zum Freunde sich erwählen wollte“, hatte er zu ihm gesagt, und zwar so laut, dass es jeder im Saal vernahm, „unser jüngster Knappe hat sich meine Freundschaft schneller und auf seine Weise verdient.“
Im Anschluss daran war es jedoch zum Streit gekommen. Emmanuel Belcaire hatte ergrimmt die Weißen Büßer für den Anschlag verantwortlich gemacht, worauf Sancto Romano wütend den Saal verließ.
„Beruhige dich, Audiartz!“, sagte Miraval. „ Montfort wird sich nach Pamiers zurückziehen, ins Winterlager. Du solltest die Zeit nutzen und dich schonen. Was sagen denn deine Ärzte?“
„Ärzte? Die sind mit ihrem Latein am Ende. Ich muss dir was gestehen“, raunte ihm Raymond zu. „Ich habe den Alemannen heraufgebeten. Meine Schwiegertochter hat ihn mir ans Herz gelegt. Er hat in Zaragoza Medizin studiert. Bleib an meiner Seite, er kann jeden Augenblick hier sein.“
Dem Troubadour indes bereitete allein der Gedanke an Hagelstein Qualen: Da waren die vertraulichen Zwiegespräche, die Sancha mit ihm führte, ihre blitzenden Augen beim Tanz, ihr helles Lachen, wenn sich die Knappen dumm anstellten. Ja, seine Geliebte hatte sich verändert, seit der Narr hier war.
„Weshalb antwortest du mir nicht?“, fragte Raymond verwundert.
Miraval blieb keine Zeit für einen Einwand, denn es klopfte bereits draußen.
Mit nicht geringer Skepsis beobachtete er, wie Falk von Hagelstein den Grafen gründlich untersuchte. „ Agrimonia “, sagte der Alemanne nach einer Weile, "in meiner Heimat ´Ackermännchen` genannt. Dieses Kraut möcht` Euch helfen, Herr. Es gedeiht in den kargen Schatten am Feldesrand und mannigfaltig ist der Ruf seiner heilsamen Kräfte. Ich will Euch sogleich einen Aufguss zubereiten. Dreimal am Tag trinkt davon und danach legt einen warmen Umschlag auf den Leib, mit etwas beißendem Essig getränkt, und dann ...“
„Genug. Geht an die Arbeit. Hilft mir die Medizin, soll es Euer Schaden nicht sein.“
Der Blonde verbeugte sich, auch in Richtung Miraval, wobei seine wachen blauen Augen, wie der Troubadour zu sehen glaubte, spöttisch aufblitzten – dann verließ er mit schlaksigen Schritten das Gemach.
Sag, was begehrst du, junger Mann, willst, was es nicht geben kann … Miraval fühlte sich plötzlich so alt wie Raymond. Er trat neben die Volière. Die Sittiche flatterten und kreischten. „Du willst dich wirklich in die Hand dieses Fremden begeben? Was werden deine Ärzte dazu sagen?"
„Sie werden murren. Aber was haben sie mir denn noch zu bieten außer ihrem Theriak , das mich langsam toll im Kopf macht? Vor dem Essen soll ich tausend Schritte gehen, sagt der eine, und nach dem Essen so lange herumstehen, bis sich die Speise gesetzt hat. Keinesfalls sattessen, meint der andere - als ob das mein Leib je zuließe! Viel essen und alles gut kauen, rät mir hingegen der nächste. Zuerst das Gröbste, sagt er, hinterher das Feinste, zum Abschluss harte Früchte, damit diese das Gegessene sogleich kräftig hinabdrücken ...
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