Sanctum
Wärme fluteten. Sie kreischte, fiel auf ihn –
– und riss ihm dabei das Herz aus der Brust. Sie wälzte sich in Agonie, schlug um sich und traf Eric mehrmals sehr hart; dabei hielt sie noch immer sein Herz in der Hand.
Eric aber wurde ganz ruhig. Er hörte über das Toben der Bestie hinweg, wie sein Herz schlug. Es wurde immer ruhiger. Und langsamer.
Die Risse ließen sich nicht aufhalten, das Leuchten steigerte sich zu einem grellen Schein –
Langsamer, noch langsamer.
– heller und heißer als die Sonne –
Es hörte auf zu schlagen.
Eric schloss die Augen.
– übermalte alles, löste die tobende Bestie und den leblosen Eric in Helligkeit auf.
XXX.
KAPITEL
29. Mai 1769, Saint-Alban,
Schloss der Familie de Morangiès, Südfrankreich
Der Marquis trat voller Elan aus dem Schloss auf den ersten Absatz der hohen Treppe und schaute über die grünenden Wiesen und Wälder des Gevaudan. Er trug einen leichten grünbraunen Jagdrock und hatte auf die Perücke verzichtet. Auf dem nicht weniger vollen Haarschopf saß ein teurer Dreispitz.
Hellgelbe Flecken in der Ferne verrieten die großen Ansammlungen Ginsterhecken, die in voller Blüte standen. Der Winter hatte sich endlich auch aus diesem Landstrich Frankreichs zurückgezogen und hob seine weiße Decke von der Natur; nur das Grau der vielen Granitfelsen trübte das bunte Bild.
»Bonjour, messieurs«, grüßte er die zehn Berittenen, die sich vor dem Schloss versammelt hatten, und klemmte seine Reitpeitsche unter die rechte Achsel, um sich die Handschuhe überzustreifen. »Ein herrlicher Tag für einen Ausritt.«
»Ja, mon Seigneur«, erschallte es im Chor.
»Welchen Teil durchkämmen wir heute, Fleury?«, fragte er seinen Jagdmeister, während er das schwarze Leder stramm über die Finger zog und die Stufen hinabging. »Was fehlt uns noch in der Sammlung?«
»Die Gegend um Saint Privat d’Allier«, bekam er zur Antwort.
Der Marquis ging auf seinen Rappen zu, ein Stallbursche hielt ihm den Steigbügel, der andere die Zügel, damit der Hengst nicht ausbrach. Mit mehr Kraft, als man es ihm bei seinem Alter zugetraut hätte, schwang er sich in den Sattel. »Gut. Hoffen wir, dass wir eine Spur finden. Das Opfer von Monsieur Chastel soll nicht vergebens gewesen sein.«
Die Männer warfen sich rasche Blicke zu. Sie hatten die Hoffnung längst aufgegeben, dass sie den vermissten Jungen noch lebend in den Wäldern fanden. Nicht einmal ein Erwachsener überstand die Winter im Gevaudan ohne den Schutz einer Hütte; und selbst wenn die wilde Hundemeute sich um den Jungen gekümmert hatte, wäre er inzwischen viel zu lange ohne Nahrung gewesen. Aber der Marquis bezahlte – im Gegensatz zu seinem Sohn zu dessen Lebzeiten – sehr gut. Und pünktlich. Von daher konnte die sinnlose Suche bis ans Ende aller Tage weitergehen.
»Sicher, mon Seigneur«, rief Fleury rasch. »Und wenn nicht heute, dann vielleicht morgen.« Er wusste schließlich, dass kein Grund zur Eile bestand. Der Marquis, das war allgemein bekannt, hatte jener geheimnisvollen Dame aus Rom, die der alte Chastel mit seinem Leben geschützt hatte, versprechen müssen, den Jungen zu finden. Gerüchte sprachen davon, dass es die Äbtissin des alten Klosters war. Aber auf solch wilden Klatsch gab Fleury nicht viel. Er glaubt eher das, was auch andere vermuteten: Die Römerin war eine wichtige Schuldnerin des Marquis, und solange er vorgab, den Jungen für sie zu suchen, würde sie ihn in Ruhe lassen.
Der Marquis lenkte den Rappen vor sie. »Wir nehmen uns die Hunde und stöbern unterwegs jeden Wolfsbau auf. Vielleicht haben die Graupelze den Kleinen mitgenommen, was ich nicht für abwegig halte. Denkt an Romulus und Remus.«
Er hob den Kopf und schaute zu einem der Balkone des aus roten Steinen errichteten Gebäudes, wo sich seine Tochter in einem weit ausgeschnittenen, sommerlichen Seidenkleid zeigte und ihm zuwinkte. Das Weiß betonte ihre lockigen blonden Haare, die wie unzählige Spiralen wirkten und bei jeder Bewegung keck hüpften. Das zierliche Hütchen vermochte nicht, sie zu bändigen.
»Viel Glück«, rief sie ihm und den anderen zu. Die Männer zogen sofort ihre Hüte vor der jungen Dame, die ein kleines Bündel auf dem Arm trug, das seinen Hunger in die Mailuft hinausschrie.
Auch der Marquis grüßte sie und schwenkte den Dreispitz. »Pass mir auf meinen Enkel auf«, rief er lachend, wendete den Rappen und preschte die Einfahrt hinunter; die Männer folgten ihm.
Fleury schaute noch
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