Sand & Blut
auf dem Boden. Ich raffte es an mich und hetzte zurück zu der Grube.
Ich schüttelte das Netz an seinem Rand aus. Tanja rührte sich nicht. Auch die Ratten waren still. Das Netz war ein gigantisches Knäuel und ich entwirrte es nur zur Hälfte. Der Mond war in seiner ganzen Pracht aufgegangen. Sein silberner Glanz fiel direkt auf uns. Ich spürte plötzlich erste Regentropfen.
»Hallo?«, fragte Tanja. Ihre Stimme war dünn und flach. Als ob etwas auf ihrer Brust lag.
Ich kniete mich zu Boden, in der rechten Faust hielt ich das Netz ganz fest.
»Okay!«, schrie ich. »Ich werfe dir ein Netz runter! Dann ziehe ich dich raus!«
Ich hatte jetzt alles erwartet, aber nicht das. Stille. Tanja schien erst mal meine Worte verdauen zu müssen. Ich steckte mir die Lampe in dem Mund und leuchtete in die Grube. Mit der linken Hand wollte ich das Netz direkt auf sie werfen. Ich durfte es mit rechts bloß nicht loslassen. Durch meine hektischen Kopfbewegungen zuckte das Licht wie ein unkontrollierter Scheinwerfer in der Grube herum. Dann erfasste es ihren Kopf. Sie sah zu mir hoch und kniff die Augen zu. Ich konnte ja nichts sagen, da ich die Lampe im Mund hatte. Ihr Blick aber erschreckte mich. Er war so finster wie eine Nacht ohne Sterne. Ich konnte es ihr nicht verübeln.
»Theo?«, schrie sie. »Bist du das?«
Ich nickte, was den Schein nur dazu veranlasste, noch mehr zu tanzen. Sie atmete aus und hob wieder die Arme. Blut lief an ihnen in feinen Rinnsälen heran. Es mischte sich mit dem Dreck aus der Grube.
Ich ließ das Netz in meiner rechten Hand los und es segelte erstaunlich langsam herab. Wie ein dünnes Tuch schlug es neben ihr auf. Ich packte das restliche Netz mit meinen beiden Händen und stemmte mich mit den Füßen gegen den lehmigen Boden. Ich legte mich auf den Rücken und zog das Netz so straff es ging. Ich hörte nur ihr Keuchen, dann spannte sich das Netz plötzlich. Sie hatte zugepackt. Abrupt zog ich daran und merkte, dass sie verdammt schwer war. Aber ich gab nicht auf. Ich legte den Kopf zurück und der Strahl der Lampe bohrte sich jetzt senkrecht in die endlose Nacht. Mit aller Kraft, die ich mobilisieren konnte, drückte ich mich auf den matschigen Lehmboden. Am Netz wurde wieder gezogen. Es war jetzt so straff wie ein gespanntes Tau. Meine mickrigen Muskeln schwollen an. Ich wollte die Lampe ausspucken, um mehr Luft zu bekommen, aber ich bekam den Kiefer nicht auf.
Stattdessen musste ich mich ganz auf meine Fäuste konzentrieren. Ich ballte sie zusammen und das dünne Nylonnetz schnitt mir plötzlich in die Haut. Es ging so schnell, wie wenn man mit einem heißen Messer in Butter schnitt.
Der Schmerz brannte in einer abrupten Eruption auf und fuhr durch meinen ganzen Körper. Dann hörte er sofort auf und es fühlte sich weich und flüssig zwischen meinen Fingern an. Ich wusste, dass es mein Blut war. Ich ignorierte das alles, so gut ich konnte und presste mich atemlos auf den Boden. Tanja hing im Netz. Es war jetzt so schwer wie ein Kühlschrank, den ich mal versucht hatte, allein zu transportieren. Es ist nicht nur Tanja, die du da hochziehst, fuhr es mir plötzlich durch den Kopf. Du holst den ganzen verdammten Rattenkönig da raus. Das Rütteln am Netz hatte nachgelassen. Sie schafft es nicht allein!
Ich drehte mich zur Seite und versuchte über den nassen Boden zu kriechen. Der Regen war stärker geworden und dicke Tropfen platschten direkt neben mir zu Boden.
»Mach schon!«, hörte ich plötzlich eine heisere, fast hysterische Stimme aus dem Loch. Sie hustete und dann klang es wie ein Würgen. Ich spuckte die Taschenlampe aus und schrie:
»Du musst mitmachen! Ich schaffe es nicht allein!«
Ich hörte etwas, das wie ein Fluchen klang. Die Lampe rollte zur Seite und blieb in einer Pfütze liegen. Der Lichtkegel fiel direkt in das dichte Gebüsch und mir schien es, als würden plötzlich ein paar kleine Augenpaare aufleuchten. Die Ratten beobachteten uns. Ich atmete aus und schob mich wieder ein Stück vom Loch weg.
»Theo, verdammt! Jetzt hol mich hieraus«, schrie Tanja wieder und ich war versucht zu sagen: »Ja gleich, du undankbare Schlampe!«
Aber ich biss mir auf die Lippen und spannte stattdessen meine Muskeln weiter an. Mühsam robbte ich vom Loch weg und dann spürte ich, dass das Netz sich nicht mehr spannte, sondern straff blieb und von mir gezogen wurde. Ich lag inzwischen auf dem Bauch, das Gesicht tief im Matsch. Der Regen prasselte mir in den Nacken und wühlte
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