Sandor Marai
ertragen, vielleicht
hatte sie sich zu spät entschlossen; die Lebenskräfte hatten sich erschöpft in
dem unsichtbaren, ihr erst spät ganz bewußt gewordenen Kampf dieser Ehe: Drei
Jahre nach der Scheidung starb sie an Kindbettfieber, nie aber hatte sie sich
in der Umwelt ihrer neuen Ehe einleben können. Christoph lernte seinen
Halbbruder, einen kränkelnden Knaben, nicht kennen. Das Kind zog später mit
seinem Vater, dem hilflosen, früh gealterten Oberingenieur, aus der Stadt
fort. Zufällig hatte Kömüves erfahren, daß dieser Ingenieur alles andere als
ein Verführer gewesen war. Es war ein gutmutiger, eher ängstlicher Mann
gewesen, den die verzweifelte und gewaltsame Geste der Frau in dieses
unbürgerliche Abenteuer gezogen hatte. Der
Sohn starb im Krieg. Nicht gerade an der Front und auch nicht den Heldentod. Er
erkältete sich im Kasernenbüro, wo er Hilfsdienste leistete, und erlag
innerhalb weniger Tage einer Lungenentzündung.
Nach dieser so unglücklich endenden
zweiten Ehe verbrachte Gabriel Kömüves seine letzten Lebensjahre einsam und
abgeschieden. Damals war er bereits in die Hauptstadt versetzt worden, und
seine richterliche Tätigkeit wurde in den beiden letzten Jahrzehnten berühmt.
Er kam auf der amtlichen Stufenleiter vielleicht nicht so hoch wie seine
ehrgeizigeren und glücklicheren Kollegen – er blieb Senatspräsident bis zu
seinem Tod –, wurde aber bereits als Gerichtsrat und später als Richter bei der
königlichen Tafel unter die Ersten gezählt.
Auch vom Publikum wurde sein Name
mit jener andächtigen Befangenheit genannt, die nur dem »großen Richter«
zukommt, dem Kenner der Herzen und der Paragraphen, der in seiner
Unfehlbarkeit, in seiner starren und unerschütterlichen Unparteilichkeit, eine
genauso furchterregende wie beruhigende Wirkung auf die ihre Rechte suchende
Gesellschaft ausübt. Junge Richter wählten ihn als Vorbild, und sie ahmten
seinen leisen, leidenschaftslosen und doch vertraulichen Verhandlungsstil nach.
Gabriel Kömüves vermochte mit einer Handbewegung Disziplin einzufordern, mit
einem Kopfnicken oder einem kühl-verwunderten Blick konnte er der aufgepeitschten Leidenschaften
des Verhandlungssaales Herr werden, nie debattierte er mit Anwälten,
Angeklagten oder Zeugen. Mit ihm trat etwas Weltmännisches und Unnahbares in
den Verhandlungssaal, niemand konnte sich seiner Wirkung entziehen, und der
geschlossene Kreis der Juristen seiner Zeit sah in ihm den großen Meister, der
eine Schule geschaffen hatte, ohne es auch nur im entferntesten beabsichtigt
zu haben. Fast unbewußt kam sein großer Einfluß mit durchschlagender Kraft zur
Geltung.
In ähnlich souveräner Sicherheit und
patriarchalischer Überlegenheit wie er hatten vielleicht einst seine
heidnischen Ahnen über Sklaven geurteilt, so auch mochten seine kleinadeligen
Vorgänger Recht gesprochen haben, die er bis zur Zeit der Anjous verfolgen
konnte und deren häusliches Urteilsrecht wohl noch in der Geste des späten
Abkömmlings bewahrt geblieben war. Nur wenige wußten, daß der über jeder
menschlichen Leidenschaft scheinbar empfindungslos thronende vornehm-unnahbare
Mann innerlich seit einem Jahrzehnt nur noch ein Wrack war, elend und glücklos,
im Herzen nur Zweifel, Wunden und eine mit übermenschlicher Anstrengung
verhüllte Hoffnungslosigkeit. Diesen tiefen Zusammenbruch des Vaters erkannte
Christoph erst als Erwachsener.
Den Tod seiner ersten Frau, die ihm
eine Tochter geboren hatte, vermochte Gabriel Kömüves ohne besondere
Erschütterung zu tragen. Seine zweite Frau aber hatte er geliebt,
und ihr Verlust traf ihn tief. Er schmerzte ihn nicht nur deshalb, weil sie so
von ihm gegangen war – »regelwidrig«, jedes Gesetz und jeden menschlichen
Anstand mißachtend –, diese Beleidigung hinterließ wohl Narben in der eitlen
Seele, aber der Schmerz sog aus dieser Verletzung der Eitelkeit nicht sein bitteres
Gift. Es tat ihm weh, daß sie gegangen war, denn ihr hatte all seine Liebe
gehört.
Was war eigentlich zwischen ihnen
geschehen? Christoph erfuhr es nie. Nach des Vaters Tod fand er ein mit
schwarzem Band verschnürtes Schriftbündel in einer Schublade des großen
Schreibtischs: Briefe aus der Brautzeit des Vaters mit der zweiten Frau,
schamhaft zurückhaltende, zaghaft vertraute Briefe, allerlei kleine
Aufzeichnungen – das Haushaltsbuch der Mutter, handgeschriebene Küchenrezepte,
winzige Rechnungen, kurze Nachrichten, rasch mit Bleistift hingeworfen –,
alles, was sich auf die
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