Sandra und das Haus in den Hügeln
Ohr.
Vermutlich ist es die Nachricht, daß sie mich gefunden und wieder zurückgebracht hat, sagte sich Sandra. Ob er befürchtet hatte, ich sei getürmt?
Die Sendboten knieten, wie am Abend zuvor, in sich versunken auf den nackten, kalten Fliesen. Der große Raum war dunkel bis auf das Kerzenlicht, das bewegungslos brannte.
Mann, ist das langweilig! Worüber grübeln die bloß dauernd nach? fragte sich Sandra. Die Atmosphäre war so gezwungen, die Stimmung schien gequält und düster zu sein. Das sollte Meditation sein? Sandra hatte eine ganz andere Vorstellung von Versenkung und Erleuchtung. Sie fand es schön, an einem heißen Sommertag in Herrn Seibolds blühendem Garten in der Sonne zu dösen. Auf dem Fluß zogen die Schiffe vorbei. Man hörte das einschläfernde, rhythmische Stampfen ihrer Maschinen. Hell tönten die Warnglocken, mit denen sie den anderen Schiffern anzeigten, daß sie in den nahen Hafen einlaufen oder ihn verlassen wollten; Wahrschauen nannte man das in der Seemannssprache.
Es war auch ein gutes Gefühl, sich an einem frostigen Winterabend in den Wohnzimmersessel zu kuscheln, Musik zu hören und über das Buch nachzudenken, in dem man gerade gelesen hatte, während die Leuchtreklame von gegenüber grell und bunt im dunklen Zimmer aufglühte.
Aber das alles war doch etwas ganz anderes als dieses stumpfsinnige Vorsichhinstarren, das die Sendboten meditieren nannten. Das, was man hier praktizierte, und wozu man kommandiert wurde, besaß nichts Ursprüngliches oder Echtes, war nicht einem eigenen, inneren Bedürfnis entsprungen.
Sandra konnte nicht verstehen, daß diese intelligenten Mädchen und Jungen sich seelisch so vergewaltigen ließen.
Als die Meditation beendet war, trat der Hausvater auf Sandra zu. Sandra hatte sich zum Kachelofen geflüchtet und wärmte ihre halberstarrten Hände und Beine. Seiner Miene sah sie an, daß sie ein paar unerfreuliche Minuten erwarteten.
Doch Sandra hatte sich in der vergangenen Stunde entschlossen, dem Spuk ein Ende zu machen. Als sie die Sendboten so willenlos in ihre Sklaverei ergeben sah, wurde ihr klar, daß diese Sekte imstande war, jeden Jugendlichen zu zerbrechen, den sie in ihre Klauen bekam.
Dazu durfte sie es in ihrem eigenen Fall nicht kommen lassen. Es sollte der Sekte nicht gelingen, auch Sandras Selbstbewußtsein zu zerstören und ihren gesunden Menschenverstand auszuschalten, so wie es mit den hier wohnenden Mädchen und Jungen geschehen war.
Wozu sollte sie einen Fluchtweg suchen, wenn es möglich war, auf natürliche Weise von hier fortzukommen? Sie gehörte nicht zu der Sekte. Sie hatte kein Gelübde abgelegt und nichts unterschrieben.
Der Hausvater mußte sie gehen lassen. Sie durfte nur jetzt keine Schwäche zeigen und sich vor allem ihre Furcht nicht anmerken lassen.
Sandra trat einen Schritt auf den Hausvater zu, blickte ihn selbstbewußt an und sagte mutig: „Ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft. Doch jetzt möchte ich bitte nach Hause fahren, Hausvater.“
Der große, massige Mann blickte überrascht.
Offensichtlich habe ich ihm sein Konzept verdorben, sagte sich Sandra.
Diese Feststellung machte ihr Mut. Energisch fuhr sie fort: „Sie dürfen mich nicht gegen meinen Willen festhalten. Das wäre nämlich Freiheitsberaubung...“
Der Hausvater hatte sich gefaßt. Er hob die Augenbrauen und fiel Sandra ins Wort: „Aber, mein Kind! Was redest du da? Niemand will dich zwingen, bei uns zu bleiben. Wir lieben unsere Brüder und Schwestern. Jeder hier ist frei, zu gehen wohin er mag. Wie kamst du nur auf diesen abwegigen Gedanken?“ sagte er verwundert.
„A... aber, alle Türen sind verschlossen!“ stammelte Sandra.
„Findest du das so sonderbar? Schließt ihr in der Nacht euer Haus nicht ab?“ sagte der Hausvater lächelnd.
„Doch — natürlich „Na, siehst du!“
„Dann darf ich also jetzt gehen?“ fragte Sandra ungläubig. Sie hatte sich auf eine heftige Auseinandersetzung gefaßt gemacht. Es überraschte sie, daß ihrem Wunsch — fortzugehen — kein Widerstand entgegengesetzt wurde.
Die Stimme des Hausvaters klang verbindlich: „Jederzeit, mein Kind. Doch es ist noch sehr früh am Tag. Draußen liegt Schnee. Dieses Haus liegt auf einer Anhöhe abseits des Dorfes. Die nächste Bahnstation ist fünfzehn Kilometer entfernt. Wie willst du da jetzt nach Hause kommen? Ich kann dich unmöglich in die Dunkelheit entlassen. Wir frühstücken jetzt zunächst zusammen. Und dann werden wir
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