Sands, Lynsay - HG 128 - Doppelspiel aus Liebe
ein Jahr überlebt, und jetzt erlaubte niemand mehr seiner Tochter, diesen Schuft zu ehelichen. Den Ausführungen dieses Zwillingspärchens zufolge lag jedoch ihrem Onkel mehr an seinen Schatztruhen als an seinen Verwandten. Doch sagten die beiden auch die Wahrheit?
„Wie heißt ihr?“ wollte er übergangslos wissen.
Die Zwillinge schwiegen erst einen Moment und tauschten dann erneut Blicke. „Charles und Elizabeth Westerly.“
Radcliffe dachte kurz nach und nickte. Er erinnerte sich, von Nora und Robert Westerly gehört zu haben, einem glücklichen Ehepaar, das Zwillinge gehabt hatte. Allerdings glaubte er, es habe sich dabei um Mädchen gehandelt. Die Familie hatte sich die meiste Zeit auf ihrem Landsitz aufgehalten, weil ihr recht wenig am Leben in der Stadt gelegen war. Vor vier Jahren waren die Eltern bei einem Kutschenunfall ums Leben gekommen. Angeblich hatte Roberts Bruder Henry Westerly die Zwillinge in seine Obhut genommen und -auch die Güter verwaltet. Kürzlich liefen Gerüchte um, er habe sämtliche Erträge aus diesen Gütern sehr schnell beim Glücksspiel durchgebracht. Nach dem, was der Junge eben gesagt hatte, beabsichtigte Henry nun, die eigenen Verluste auszugleichen, indem er seine Nichte verheiratete, was höchstwahrscheinlich mit deren Tod endete.
Es überraschte Radcliffe nicht im Geringsten, zu hören, dass Carland für eine Braut bezahlen wollte. Der Mann benötigte einen Nachkommen, oder das Erbe würde an irgendeinen entfernten Neffen gehen. Seufzend betrachtete Radcliffe die junge Frau. Sie war ein zartes, kleines Geschöpf, und abgesehen von ihrem üppigen Busen, wirkte sie ungemein schlank und zerbrechlich. Vermutlich hielt sie bei Carland nicht einmal einen ganzen Monat durch.
„Wohin wollt ihr gehen?“ fragte er unvermittelt und winkte ungehalten ab, als der Junge hierauf argwöhnisch die Lippen zusammenpresste. „Ich werde euch beide nicht verraten, und deine liebreizende Schwester will ich ebenfalls nicht in Carlands Händen wissen. Bei ihm wäre sie spätestens nach einer Woche tot.“
An der Aufrichtigkeit des Lords war nicht zu zweifeln. Als er Carlands Namen aussprach, lag Hass in seinen Augen. Dennoch mochte Charlie ihm nicht wahrheitsgemäß erzählen, dass sie zu ihrem Vetter Ralphy, einem Verwandten mütterlicherseits, reisen wollten, von dessen Existenz Onkel Henry nichts wusste. Eine Lüge bot hier den einzigen Ausweg, und was Charlie dann antwortete, war gar nicht so übel.
„Nach London.“
Erneut zog Radcliffe die Augenbrauen hoch. „Habt ihr dort Verwandte?“
„Nein.“
„In London braucht man Geld.“
Charlie lächelte schalkhaft. „Onkel Henry hat zwar das Familienvermögen unseres Vaters durchgebracht, doch unsere Mutter legte ihr eigenes Vermögen vor Jahren vorsorglich in Juwelen an, und die hat sie uns testamentarisch hinterlassen.“
„Hat euer Onkel nicht versucht, den Schmuck zu verkaufen, oder …“
„Das würde er getan haben, wenn er ihn gefunden hätte“, fiel der Bursche ihm ins Wort. „Doch er fand die Juwelen ja nicht. Die hatten Mutter und Vater schon vor Jahren für den Notfall versteckt. Außer unseren Eltern kannten nur Elizabeth und ich ihren Aufbewahrungsort, und den vergaßen wir dann sicherheitshalber.“
Das amüsierte Radcliffe sichtlich, doch sogleich wurde er wieder ernst. „Euer Onkel wird euch in London aufspüren.“
„Am Ende ganz bestimmt“, gab Charlie ihm Recht. „Doch dann wird Beth schon mit jemandem aus der Gesellschaft verheiratet sein.“
„Und du?“
„Wenn ich erst einmal meinen Anteil an den Juwelen verkauft und investiert habe, werde ich davon leben können“, log Charlie unbekümmert.
„Du willst also deiner Schwester durch den Verkauf eines Teils der Juwelen die Möglichkeit geben, sich in der Saison auf dem Heiratsmarkt umzusehen?“
Der Bursche nickte.
Radcliffe runzelte die Stirn. „In diesem Fall wird euer Onkel davon erfahren und dann wissen, wo ihr beide zu finden seid.“
„Wie ich schon sagte, am Ende wird er es gewiss erfahren, doch er wird uns nicht zuerst in London suchen. Erst einmal wird er sich zu den Familiengütern begeben und Kontakt zu den Verwandten unseres Vaters aufnehmen.“
„Wieso sollte er euch nicht zuerst in London suchen?“
„Weil er uns genau dorthin bringen wollte. Er dürfte also kaum annehmen, dass wir bei Nacht und Nebel ausgerechnet nach London fliehen.“
Das überzeugte Radcliffe. Selbst Beth schien von dem Argument beeindruckt zu
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