Sanft wie der Abendwind
Sebastian hinterhältig. „Es gibt noch eins.“
Sie flüchtete sich, den Waschbeutel und das Nachthemd unter dem Arm, ins Bad.
Es war nur mit dem Nötigsten ausgestattet: Waschbecken,
Toilette und Duschkabine. Auf dem Wandbrett lag tatsächlich ein zweites Handtuch, daneben ein winziges Stück Seife, und es gab sogar zwei Pappbecher und ein Fläschchen Shampoo, von dem Sebastian die Hälfte verbraucht hatte.
Glücklicherweise hatte Lily alles Nötige im Waschbeutel: französische Seife, Spezialshampoo sowie Haarspülung, und natürlich Zahnbürste und Zahnpasta. Ohne weitere Zeit zu verschwenden, begann sie, das alles ausgiebig zu benutzen.
Die Kissen fühlten sich an, als wären sie mit Erdnussschalen gefüllt, und die Matratze war auch nicht viel bequemer, aber immerhin besser als ein Tisch in der nächsten Leichenhalle. Dort wären sie unweigerlich gelandet, wenn er, Sebastian, nicht rechtzeitig bemerkt hätte, dass die Brücke vom Hochwasser weggerissen worden war.
Nun gestand er sich ein, dass ihn das doch ziemlich aus der Fassung gebracht hatte. Lily hatte jedoch zu heftig reagiert! Dass sie einfach aus dem Auto gesprungen und blindlings weggelaufen war, bestätigte seinen ersten Eindruck von ihr: Die Frau würde nichts als Probleme bedeuten. Trotzdem hatte er Mitleid mit ihr gehabt. Sie hatte wie Espenlaub gezittert, als er sie in die Arme genommen hatte, und sich angefühlt wie …
Nein, daran dachte er lieber nicht. Sein Auftrag lautete, sie bei Hugo abzuliefern, und nicht, sich mit ihr einzulassen! Dabei fiel ihm ein, dass sie nun jeden Moment zu Hause erwartet wurden.
Sebastian schob sich ein Kissen hinter den Kopf, zog die Bettdecke bis zur Taille und griff nach dem Handy.
Hugo nahm gleich nach dem ersten Klingeln ab. „Sebastian?“
„Wie hast du das erraten?“
„Ich habe den Wetterbericht im Fernsehen gesehen. Die ganze Gegend ist wegen Überflutungen von der Umwelt abgeschnitten. Ihr schafft es heute nicht mehr nach Stentonbridge.“
„Das habe ich mir schon längst gedacht, deshalb haben wir vor etwa einer Stunde in einem Motel Zuflucht gesucht.“
„Mir fällt ein Stein vom Herzen! Ihr seid also in Sicherheit.“
Es hätte keinen Sinn gehabt, Hugo mit dem Bericht zu beunruhigen, wie knapp sie dem Tod entronnen waren – oder sich auf eine Diskussion einzulassen, ob es völlig risikolos sei, wenn seine Tochter und sein Stiefsohn die Nacht in einem Bett verbrachten.
„Ja, wir sind hier gut aufgehoben“, bestätigte Sebastian.
„Erzähl mir, was du von Lily hältst, nachdem du sie jetzt schon ein bisschen besser kennst.“
Sie ist neugierig, entnervend und vorlaut, hätte er am liebsten geantwortet. Und sie war, wie ihm allmählich bewusst wurde, sehr sexy. „Ach, du kennst mich doch: Ich ziehe keine voreiligen Schlüsse, sondern warte, bis ich alle Fakten kenne.“
Hugo lachte. „Könntest du wenigstens einmal im Leben versuchen, dich nicht wie ein Anwalt zu benehmen?“
Und was tun? Die Gelegenheit nutzen und sich Lily nähern? Nein, da blieb er, Sebastian, lieber bei seinem nüchternen Anwaltsgebaren. „Ich bin und bleibe nun mal Jurist.“
„Ich möchte, dass ihr beiden gut miteinander auskommt. Lily gehört jetzt zur Familie.“
„Genau deswegen bin ich ja so vorsichtig. Du warst immer wie ein Vater zu mir, Hugo. Dafür möchte ich dir einen Gegendienst erweisen, indem ich deine Interessen schütze.“
„Du machst dir grundlos Sorgen. Lily verbindet keine Hintergedanken mit ihrem Besuch.“
„Wie du meinst.“ Es hätte wenig Sinn gehabt, auf den Tatbestand hinzuweisen, dass sie eine völlig prinzipienlose Mutter zum Vorbild gehabt hatte. Wer konnte also sagen, von welchen Beweggründen Lily geleitet wurde? Es würde sich erst im Laufe der Zeit herausstellen.
„Ist sie so hübsch wie auf dem Foto, das sie mir geschickt hat?“, erkundigte Hugo sich.
In dem Moment kam Lily aus dem Bad ins Zimmer zurück.
„Sebastian? Bist du noch dran?“
„Ja.“ Mühsam wandte Sebastian den Blick von ihren Beinen, die das kurze Nachthemd nur knapp bedeckte. Wieso roch sie nicht nach der billigen Hotelseife, sondern duftete nach Blumen? Warum schimmerte ihre Haut wie Seide im Mondlicht und ihr Haar, als wäre es mit Sternensplittern bestreut?
„Und? Ist sie es?“
„Ist wer was?“, fragte Sebastian. Ihm war plötzlich die Kehle wie zugeschnürt.
„Ist Lily so hübsch wie auf dem Foto?“, wiederholte Hugo.
Sie blieb am Fußende des Betts stehen, die Hände auf
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