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Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas

Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas

Titel: Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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Angestellten eigentlich? Ja, das ist schwer zu sagen. Schon ihre genaue Zahl steht nicht genau fest. In den Berichten der Presse schwankt sie zwischen 15 000 und 40 000. Das liegt wahrscheinlich daran, daß dort Beamte und andere Beschäftigte in einen Topf geworfen werden. Vielleicht sollte man sich an den Jahresbericht des Europäischen Rechnungshofes halten? Nach seinen Angaben liegen die Verwaltungskosten der EU bei 6 % des Gesamtbudgets. Das wären genau 8,2 Milliarden Euro. Andererseits behaupten Leute, die sich nicht nur in Brüssel, sondern auch in Österreich auskennen, die Verwaltung der Stadt Wien sei ebenso teuer wie die der Europäischen Union. Sie soll also mit 11,3 Milliarden Euro, etwa 10 % des Gesamthaushalts (2009), zu Buche schlagen. Das hört sich abenteuerlich an, solange man nicht bedenkt, daß eine Großstadt für allerhand zu sorgen hat, was die EU andern überläßt, wie ihre Müllabfuhr, ihre Sozialbehördenund viele andere Kostgänger. Offenbar liegt es an den Fallstricken der Statistik oder, weit schlimmer, in der Natur der Sache, daß alle administrativen Kostenrechnungen für den Steuerzahler ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Das allerdings gilt nicht nur für die Stadt Wien, sondern auch für die Behörden der Europäischen Union.
    Unter diesen Umständen möchte man die Brüsseler Beamten, statt ihnen Vorwürfe zu machen, eigentlich eher in Schutz nehmen. Es ist sicher kein Vergnügen, eine Sechzigstundenwoche in einem Klima von Unpopularität, internen Konflikten, Blockaden und Intrigen zuzubringen, gar nicht zu reden von dem berufsbedingten Realitätsverlust, der unvermeidlicherweise jeder politischen Klasse droht und der natürlich mit der geographischen Entfernung von den übrigen Einwohnern unseres Kontinents wächst. Es ist kleinlich und unangebracht, zu fordern, daß ein derart erbarmungswürdiges Dasein auch noch schlecht bezahlt werde.
    Ein weiterer Vorwurf, der gerne gegen »Brüssel« erhoben wird, wiegt viel schwerer. Das ist die Neigung der Kommission, sich in den Alltag der Europäer einzumischen. Ihr Regelungswahn, der viele Bürger in den Wahnsinn treibt, ist allerdings nicht schwer zu erklären. Wie Robert Conquest einmal bemerkt hat, verhält jede bürokratische Organisation sich so, als würde sie von den Geheimagenten ihrer Gegner geleitet. Diese Form der Selbstsabotage ist beklagenswert, aber kein Zufall; denn jede Ausdehnung ihrer Kompetenzen verspricht der Institution mehr Macht, mehr Geld und mehr Planstellen. Eine bessere Erklärung für viele Entscheidungen unserer europäischen Sachwalter hat bislang niemand vorgebracht.
    Schon heute nimmt die Union seit dem Vertrag von Lissabon folgende Zuständigkeiten für sich in Anspruch: Alles, was den gemeinsamen Markt betrifft; entscheidende Bereiche der Wirtschafts-, der Gesundheits-, der Industrie-, Regional-, Bildungs-, Renten- und Jugendpolitik. Umwelt, Klima, Energie, Forschung,Technologie, Verbraucherschutz, Einwanderung und Asyl, Zivilprozeßrecht, Strafrecht, Innere Sicherheit – da bleibt kein Feld unbeackert und kein Auge trocken. Zudem ist auch noch für eine ominöse »Flexibilisierungsklausel« gesorgt worden, mit der die Union sich bei Bedarf zur Ausdehnung ihrer Kompetenzen selbst ermächtigen kann.
    Die zahllosen Beispiele sprechen eine deutliche Sprache. So werden dem, der mit einem Preßlufthammer arbeitet, Grenzwerte für »Hand-, Arm- und Ganzkörperschwingungen« vorgeschrieben. Auch über die Regeln für den Zahnersatz befindet die Kommission. Welcher Käse in Salzlake gereift ist, ist auf der Packung zu vermerken. Berühmt geworden ist der Fall der Gurkenverordnung (1677/88), die festschreibt, daß die Handelsklasse »Extra« dieses Gemüses nur in den Handel gebracht werden darf, wenn die Krümmung zehn Millimeter auf zehn Zentimeter Länge nicht überschreitet. Die Verbände einiger landwirtschaftlich geprägten Länder haben diese Kriterien nicht nur befürwortet, sondern auch heftig verteidigt. Erst nach zwanzig Jahren hat die Kommission sich bereit gefunden, sie ebenso abzuschaffen wie 25 andere der 36 Regeln, die sie für Bohnen, Blumenkohl und Melonen erfunden hat. Ob das auch für die Verordnung Nr. 2396/2001 gilt, müssen Berufenere ermitteln. In ihr wird festgelegt, daß »bei Lauch und Porree der Güteklasse I mindestens ein Drittel der Gesamtlänge oder die Hälfte des umhüllten Teils von weißer bis grünlich-weißer Färbung sein muß«; es sei denn, es handle sich um

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