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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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Lokal betrat, er sich mehrmals umschaute, um zu sehen, welche Leute sich in seiner Umgebung befanden, Negativ hingegen sich überhaupt nicht dafür interessierte, wer da trinkt und isst. Es schien, als wäre Negativ zu sich nach Hause gekommen, wo er alles seit Langem kennt. Rogow machte keinen Lärm und wurde nicht betrunken, lediglich in seinem Gesicht bildeten sich rosafarbene, klar abgegrenzte Flecken. Sascha sah Rogow an und bemerkte mit betrunkenem Erstaunen: Würde man den Fleck auf der linken Wange umranden, dann ergäbe das den Umriss von Afrika. Sascha reckte mehrmals den Hals, um die Form des Flecks auf Rogows rechter Wange zu beäugen, bis Ljoscha ihn fragend anschaute.
    Sascha schüttelte den Kopf: »Nichts.«
    Rogow lächelte sanft.
    »Ljosch, erzähl weiter über dieses Gespräch«, bat Sascha. »Es ist gut, was Du sagst.«
    »Was gibt’s da zu sagen …« Rogow war abermals ehrlich verwundert. »Ist leichter, sich hinzulegen und zu sterben, als diesem Typ zuzuhören. Die Russen sollen sich nach seiner Logik überhaupt alle hundert Jahre hinlegen und sterben. Sobald sie nur anfangen, ›Blut zu vergießen‹. Ich sehe keinen Unterschied zwischen heute und dem, was war … vor langer Zeit. Ich sehe auch keinen Unterschied zwischen mir und meinem Großvater.«
    Rogow sprach langsam, als würde er jedes Wort durch einen Fleischwolf drehen.
    »Nein, Ljosch, warte, was ist mit ›Blut vergießen‹? Wird das wirklich geschehen?«
    »Alle tun das …«
    »Besletow würde sagen, dass alle das Blut der anderen vergießen, wir aber vergießen das unserer eigenen Leute.«
    »Besletow ist sein Familienname?«, fragte Rogow nach und sagte, ohne auf eine Antwort zu warten: »Na und, ist das schlecht? Es ist ehrlicher, die Eigenen niederzumetzeln, als in benachbarten Ländern herumzutrampeln.«
    »Sind wir dort etwa nicht herumgetrampelt?«
    »Also, es ist eine Sache, einen Viehwaggon mit Balten auf die Kamtschatka zu transportieren, die vor Hitler ihre Beine breit gemacht hätten, wäre nicht der Rotarmist mit der Uschanka gekommen; etwas anderes ist es, eine Bombe auf eine Stadt
mit Kindern zu werfen und alle sofort zu töten. Besteht da ein Unterschied?«
    »Ja.«
    »Wir bringen einander um, weil in Russland die einen die Wahrheit so, die anderen anders verstehen. Das ist sowohl Blutbad als auch Erkenntnis.«
    »Eine Erkenntnis, ja«, wiederholte Sascha, »so eine Erkenntnis, dass…«
    »Ja, genau so eine.«
    Die Jungs gingen zum Pissen nach draußen, Negativ blieb, um den noch nicht getrunkenen Wodka und die restlichen, kalt gewordenen Pelmeni zu bewachen.
    Der Platz zum Austreten befand sich direkt hinter dem Café und war wegen des beißenden Gestanks leicht zu finden.
    Sie traten nicht in den Matsch, sondern stellten sich zu dritt
an die graue Mauer irgendeines Gebäudes neben dem Café. Sie standen einer kleinen Erhöhung gegenüber und alles floss zu ihnen zurück. Der Urin der Jungs rann perlend zu einem Bach zusammen.
    Erleichtert, frisch und gut gelaunt kamen sie zurück.
    »Noch ein Bier?«, schlug Sascha vor.
    »Na klar«, antwortete Wenja. Rogow nickte.
    Als Sascha mit den Flaschen zurückkam, stand der unrasierte Mann im Kampfanzug bereits am Tisch und – schwieg. Der linke Ärmel seiner Jacke hing herab, tatsächlich fehlte ihm ein Arm.
    »Ich hab gehört, ihr redet da …« Er artikulierte mühsam, schwieg, stockte.
    »Sehr richtig«, setzte Sascha fort. Im Rausch wurde er streitsüchtig.
    Wenja lachte. Am Rand von Rogows Lippen hing ein Lächeln. Negativ blieb undurchschaubar.
    »Ihr habt gesagt, dass wir nie irgendwo eingedrungen sind, ihr Grünschnäbel. Und was ist mit Afghanistan? – Fahrer des einhundertsechsundsiebzigsten motorisierten Gebirgsjägerregiments. Vierzehn Mal unter Beschuss. Zwei Verwundungen, ihr Grünschnäbel.«
    »Ihr Grünschnäbel«, sagte er ohne beleidigenden Unterton – einfach wie »Jungs«.
    Der Afghanistanveteran sah Sascha, der ihm mit einer offenen Bierflasche in der Hand direkt gegenüber stand, in die Augen. Sascha verstand plötzlich, dass der Mann fast nüchtern war.
    »Ich höre, ihr sprecht da über irgendeine Partei. Über Politik. Was versteht ihr Grünschnäbel denn von Politik? Diese Affen in Anzügen warten nur darauf, uns in irgendeine Scheiße einzutunken … Hat jemand was zu rauchen?«
    Sascha überlegte und gab dem Afghanistanveteranen eine Zigarette.
    »Hier ist Rauchen verboten«, warnte er grinsend.
    »Ich rauche überall. Ihr seid doch

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