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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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es, sich ein beliebiges Gespräch in einem öffentlichen Verkehrsmittel anzuhören … Denkst du, dass dieses Volk, das zur Hälfte aus Rentnern und zur andern aus Alkoholikern besteht, einen Boden braucht?«
    »Die am Leben sind, brauchen ihn.«
    »Es gibt nicht genug Lebende für diesen Boden.«
    »Genug.«
    Besletow schaute Sascha ironisch an, bewegte sich nicht, um Wenja vorbeizulassen, der offenbar zur Toilette wollte; kaum hatte sich Wenja vorbeigedrängt, sagte er: »Lieber Sascha, darum geht es nicht.«
    Sascha fiel auf, dass sich Besletows Tonfall unablässig änderte – von Gereiztheit zu Beflissenheit und leicht herablassender Milde. Im Übrigen waren diese Wechsel ziemlich artistisch, geradezu fließende Übergänge.
    »Es geht darum, dass man gar nichts tun muss. Man muss nichts tun. Denn solange die R-u-s-s-e-n leise vor sich hin saufen und ihnen alles scheißegal ist, geht alles seinen Gang. Der Wodka wird gekühlt, die Kartoffeln werden gebraten. Und sobald die R-u-s-s-e-n anfangen, sich an ihre verlorengegangene Größe und an das Schicksal der Heimat zu erinnern, an … oder worüber sprecht ihr die ganze Zeit eigentlich? … dann fangt ihr an, euch gegenseitig abzustechen. Und ihr werdet so viel Blut fließen lassen, dass der halbe Kontinent damit überzogen wird. Das ist unausweichlich, Sascha. Ich denke natürlich, dass sie euch schon davor niedermetzeln. Und wenn man das Blut einfach zynisch
in Litern misst, dann ist das natürlich richtiger. Richtiger und weniger blutig.«
    »Aber dieses Land wird es bald nicht mehr geben, Aleksej …« Sascha schnitt den Vatersnamen von Besletows Vornamen ab, weil er »Konstantinowitsch« nicht aussprechen wollte.
    »Ich sagte dir doch, dass es schon jetzt nicht mehr existiert«, antwortete Besletow schnell.
    »Lasst die Menschen ruhig in ihren Winkeln leben. Gebt diesen Russen, um die ihr so besorgt seid, die Möglichkeit, ihr Leben r-u-h-i-g zu Ende zu leben. Ihr werdet ihnen nichts Gutes tun, versteht das doch. Ihr werdet ihnen stattdessen nur noch mehr Unglück bringen. Außerdem hofft ihr vergeblich auf sie. Sie sind genau solche Russen wie … die heutigen Griechen im Vergleich zu den alten. Wie assyrische Krieger im Vergleich zu den assyrischen Schuhputzern in Moskau.«
    Sascha trank sein Bier aus und blickte auch zum Fernseher, dessen Bild Negativ so angezogen hatte. Die Motorradfahrer fuhren weiterhin im Kreis. Dann schaute er auf Rogow, der den Kopf im Takt zu etwas bewegte, das in ihm selbst vor sich ging.
    »Verstehst du, Sascha«, Besletow senkte abermals die Stimme: »Mir war das, was ihr macht, sympathisch. Es war ein ästhetisches Projekt, das gerade vor dem Hintergrund der herrschenden Schwermut und Wirren interessant war. Aber ihr habt die Grenze überschritten. Nun beginnt etwas, von dem ihr nicht mehr zurückkönnt. Hört jetzt auf. Macht das, was ihr früher gemacht habt. Das war äußerst lebendig – eure Flugblätter, eure Reden, eure Schreie in der Öffentlichkeit, die Fahnen. Eure Mädchen sind natürlich und haben feine Gesichter … Das ist nicht ganz russisch, entspricht nicht unserer Tradition, aber trotzdem lebendig. Überhaupt ist das Russisch-Sein heutzutage nicht allen eigen…« Besletow wurde mit dem Lauf seiner Gedanken immer angeregter: »Die R-u-s-s-e-n haben ihr Russisch-Sein verloren. Erhalten hat es sich noch bei einigen wenigen Menschen, als ein durchaus spirituelles Prinzip, und so, so Gott will, wird es noch einige Zeit erhalten bleiben. Vielleicht einige Jahrhunderte.«
    »Wo ist es noch erhalten?« Sascha war aufrichtig verwundert. »In einem Land, das in dreißig Jahren ausstirbt und von Chinesen und Tschetschenen besiedelt sein wird?«
    »Nein, natürlich nicht. Aber die Juden haben ihr Judentum im Laufe von zweitausend Jahren auch irgendwie erhalten. Russische Gemeinden leben auf der ganzen Welt, niemand stört sie. Die noch immer lebendige Kultur ist der wichtigste und – ja, der einzige Faktor russischen Geistes. Der Geist lebt schon fast nirgendwo mehr – nur in einzelnen Menschen, die Bilder malen oder Bücher schreiben, oder … na ja, unwichtig. Das Volk ist nicht mehr Träger des Geistes und daher auch zu nichts imstande. Alles, was wir der Welt noch geben können, ist, das Leben unseres Geistes darzustellen.«
    »Im Moment des Zerfalls dieses Geistes …«, fügte Sascha müde hinzu.
    »Sascha, alles hängt von euch selbst ab. Wenn ihr das blutige Chaos, das ihr euch wünscht, tatsächlich

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