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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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Bartstoppeln«, fiel Sascha plötzlich auf – »ein weißes Gesicht. Ein kluges und vermutlich schönes Gesicht. … Und wie er die Brauen zusammenzog …«
    Ohne dass man ihr Kommen gehört hätte, stand die Kellnerin vor ihnen, Besletow bestellte Kaffee.
    Die Pause zog sich in die Länge.
    Sascha schwieg absichtlich – ihm gefiel das ganze Treffen schon nicht, als sie noch in der Universität waren.
    »Was schaut er so?«, dachte er und sah in Besletows Gesicht. »Hab ich etwa Geld von ihm geliehen?«
    »Macht ihr immer noch Radau?«, fragte Besletow, der seine Zigarette angezündet hatte und Saschas eindringlichen Blick spürte.
    »Was bleibt sonst übrig?«, antwortete Sascha rhetorisch. Er hatte sofort verstanden, dass es um die Moskauer Krawalle ging.
    Besletow zog kräftig an der Zigarette und dankte – den Rauch dabei anhaltend – mit leicht gepresster Stimme der Kellnerin für den Kaffee.
    »Denkt ihr, dass das, was ihr da angefangen habt, gut ist? Richtig?«
    »Gut und richtig«, antwortete Sascha. Besletow zuckte mit den Schultern.
    »Und welchen Sinn hat das?«
    »Das ist eine sehr lange Frage.«
    »Es ist eine geradezu kurze Frage … Gut, ihr verlangt: ›Gebt uns eine nationale Idee…‹«
    »Wie der jetzt redet…«, dachte Sascha schnell und unterbrach Besletow sofort.
    »Wir bitten um nichts. Ich bitte um nichts. Ich bin Russe. Das reicht. Ich brauche keine Ideen.«
    »Ich bin Russe«, äffte Besletow düster nach. »Und was macht ihr mit den Nicht-Russen?«
    »Hören Sie, Aleksej Konstantinowitsch, verdrehen Sie hier nichts … Niemand wird die Nicht-Russen irgendwo hintun, Sie wissen das ganz genau.«
    »Und warum, Sascha, beginnst du dann sofort mit den Worten ›Ich bin Russe‹?«
    »So ist das also«, dachte Sascha abermals, »er ist mit mir per Du, aber ich mit ihm …«
    »Ich beginne nicht …«, erwiderte Sascha. »Ich sage nur, dass ich keine nationalen Ideen brauche. Verstehen Sie? Ich brauche weder eine ästhetische noch eine moralische Begründung dafür, meine Mutter zu lieben oder mich an meinen Vater zu erinnern …«
    »Ich verstehe. Aber warum bist du dann in diese … in eure Partei eingetreten?«
    »Sie braucht auch keine Ideen. Und keine Heimat.«
    »Ach nein, alle diese Wörter, mal ›Russe‹, mal ›Heimat‹. Bitte nicht.«
    »Den Namen nicht beschmutzen, nicht wahr?«, sagte Sascha versöhnlich. »Ich bin einverstanden.«
    »Was heißt zum Teufel ›nicht beschmutzen‹?« Besletow wurde wütend. »Ihr habt doch gar keine Beziehung zur Heimat. Und die Heimat keine zu euch. Es gibt keine Heimat mehr. Es ist vorbei, sie hat sich aufgelöst! Und noch viel weniger zahlt es sich aus, irgendjemand mit allen euren Widerwärtigkeiten zu provozieren, mit dem Zertrümmern von Fenstern, irgendwelcher Visagen und was ihr noch so zerschlagt …«
    »Besser, leise zur Seite treten«, antwortete Sascha in Besletows Ton, nur um einen Halbton tiefer.
    »Besser, leise zur Seite treten, als sich der Niedertracht hinzugeben.«
    »Besser leise in eine andere Welt hinübergehen«, sagte Sascha.
    »Ja, stell dir vor. Das ist besser. Vor Gott ist das besser. Alle eure Demonstrationen und euer Fahnenschwenken – das hat schon lange keinen Sinn mehr. Ihr werdet gar nichts ändern. Aber wenn ihr damit anfangt, Blut zu vergießen … wenn ihr nicht schon damit begonnen habt…« – hier erhob Besletow abermals seine Stimme, »dann …«
    Besletow zog an der Zigarette und drückte sie dann wütend aus, als wollte er einen ekligen Wurm zermalmen.
    Alle saßen stumm da. Wenja bohrte mit einem Zahnstocher Löcher in die Zigarettenpackung, Negativ schaute zum Fernseher. Rogow sah auf die Tischplatte und wippte unter dem Tisch mit dem Bein.
    »Und Ihnen, Ihnen gefällt das alles?«, fragte Sascha, der äußerst ruhig geworden war, in den Rhythmus des Gespräches gefunden hatte und Besletow interessiert musterte.
    »Du willst nicht verstehen, Sascha. Hier gibt es nichts mehr, was einem gefallen könnte. Hier ist nur noch eine Leerstelle. Hier gibt’s nicht mal einen ›Boden‹. Kein Vaterland, kein Land, an dem der Staat – wie es jetzt so modern heißt – geo-po-li-tisch interessiert wäre. Und einen Staat gibt es auch nicht.
    »Auf diesem Boden lebt aber das Volk«, sagte Sascha, der keinen Streit sondern verstehen wollte, wovon Besletow sprach.
    »Dein Volk« – er sprach das Wort »Volk« in die Länge gezogen aus – »ist unzurechnungsfähig. Um sich davon zu überzeugen, reicht

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