Sanssouci
Babelsberger stiegen in ihre Autos, Merle fuhr bei ihnen mit, die anderen strebten nach verschiedenen Seiten davon. Alexej, der deutsche Pfarrer und Merles Freund liefen eine Weile die Eckenheimer Landstraße hinunter. Der Freund war nun gesprächiger als vorher und stellte sich als Lars Berlow vor. Der Pfarrer fragte, welchen Bezug er zu dem Verstorbenen gehabt habe. Einen nur sehr fernen, sagte Berlow. Seine Freundin sei zwar mit Hornung verheiratet gewesen, aber er sei ihm nur zweimal begegnet. Hornung sei ihm stets irgendwie desinteressiert erschienen. Seine Freundin sei jemand, der wirklich sehr polarisieren und die Menschen angreifen könne, aber Hornung sei darauf nie eingegangen. Das habe vermutlich daran gelegen, daß er so indifferent gewesen sei. Merle sei ihm völlig egal gewesen. Übrigens sei Merle unter Menschen sonst immer eher still und zurückhaltend. So wie eben habe er sie noch nie erlebt. Der Tod habe sie doch merklich aus dem Konzept gebracht. Morgen gehe sie zu einer Rechtsanwältin, vielleicht komme daher die Aufregung. Alexej fragte, in welcher Hinsicht seine Freundin die Menschen angreife. Er: In verschiedener Hinsicht. Sie ist sehr gegen das Autofahren, sie ist sehr gegen diese riesigen Nahrungsmittelkonzerne heutzutage, vor allem seit Jesus. Es ist für sie unvorstellbar, daß Menschen Fleisch essen. Solche Dinge. Sie ist da sehr ungewöhnlich. Ihrem Mann war das egal. Ihm war offenbar alles egal. Ich weiß überhaupt nicht, warum die beiden geheiratet haben. Das ist mir ein absolutes Rätsel. Eigentlich nenne ich ihn gar nicht »ihren Mann«. Ich nenne ihn immer nur MaxHornung. Der Pfarrer: Und die anderen am Tisch? Diese Potsdamer oder Babelsberger, es waren ja mindestens ein Dutzend Leute, wovon haben die eigentlich geredet, als die beiden Jugendlichen erschienen? Berlow: Er habe keine Ahnung. Er komme nicht aus Potsdam, er wohne in Braunschweig. Merle sei übrigens aufgefallen, daß der Nachlaßverwalter nicht dagewesen sei, ein alter Freund Hornungs. Es gebe ja dieses Haus in Potsdam, und da müßte einiges vorhanden sein. Dieser Freund heiße Mai, wie die Jahreszeit. Merle kenne ihn irgendwoher.
Alexej erinnerte sich, diesem Mai einmal begegnet zu sein. Er erinnerte sich aber nur an den Namen.
Sie gingen bis Höhe Glauburgstraße, dann trennten sie sich. Der Pfarrer wohnte in der Nähe, Berlow stieg in die U-Bahn, und Alexej lief weiter. Er war nachdenklich und verwirrt. Einige Leute, die er auf der Beerdigung erlebt hatte, paßten überhaupt nicht zu Max. Vor allem war ihm die Rolle der beiden Jugendlichen unklar. Er hatte noch nie von ihnen gehört. Konnte es tatsächlich sein, daß Max einen siebzehnjährigen Sohn hatte? Beziehungsweise eine ebensolche Tochter? Das schien ihm völlig unmöglich. Und wie war diese Aggressivität unter den Leuten aus Ostdeutschland zu erklären? Wer waren überhaupt all diese Leute? Zu viele Fragen schossen durch Alexejs Kopf. Er lief die Eckenheimer Landstraße weiter, überquerte vorsichtig eine Kreuzung (seit er im Kloster lebte, war er im Straßenverkehr etwas unsicher geworden), blieb vor einem Antiquariat stehen und betrachtete im Schaufenster nachdenklich eine alte Weltkarte. Dann sah er Arnold und Heike auf der anderen Straßenseite.Beide standen da und beobachteten ihn. Offenbar hatten sie ihn verfolgt. Sie musterten ihn mit unverhohlenem Interesse und hielten sich an der Hand. Arnold flüsterte seiner Schwester etwas ins Ohr, worauf sie in eine Seitenstraße verschwand. Dann kam Arnold über die Straße gelaufen. Herr Alexej, rief er ihm entgegen, warten Sie auf mich? Stehen Sie deshalb da? Ich begleite Sie ein Stück, wenn Sie wollen. Alexej sagte, er habe nicht gewartet. Er sei gedankenverloren gewesen und habe die Auslagen betrachtet. Arnold sah ins Schaufenster. Sie mögen alte Weltkarten? fragte er. Alexej schüttelte den Kopf. Er habe, wie gesagt, nur gedankenverloren in das Schaufenster geblickt. Ich weiß, sagte Arnold. Wir haben Sie beobachtet. Wir sind Ihnen nämlich nachgelaufen. Haben Sie meine Schwester gesehen? Ja, sagte Alexej, natürlich habe ich deine Schwester gesehen. Ich habe sie vorhin im hinteren Raum der Wirtschaft gesehen, und eben hier habe ich sie auch gesehen. Und, fragte Arnold plötzlich mit einem frechen und herablassenden Gesichtsausdruck, was hat sie an? Alexej sagte, er verstehe die Frage nicht. Was meine er? Er: Was sie anhat, was sie trägt. Ich will wissen, was sie trägt! Alexej dachte nach und
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