Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Santiago liegt gleich um die Ecke

Santiago liegt gleich um die Ecke

Titel: Santiago liegt gleich um die Ecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Albus
Vom Netzwerk:
Jahr 2000! Immer wieder hört man deshalb, dass Menschen auf die Erfahrung des Wegs verzichten, weil sie keine Lust haben, mit roten Augen in die Morgensonne zu blinzeln, nur um später am Tag noch irgendwo ein Bett zu ergattern. Andere schrecken vor der weiten Anreise nach Spanien und der fremden Sprache zurück; wieder andere würden sich trotz allem gerne auf den Weg machen – aber vielleicht nicht unbedingt über die volle Distanz von immerhin etwa 800 Kilometern.
    Für diese Leute gibt es eine gute Nachricht: Man kann auch in Deutschland pilgern. Auf dem Jakobsweg. Denn auch hier gibt es alte Pilgerpfade. Sogar ein regelrechtes Jakobspilger-Wegenetz – denn wer sich im 11. Jahrhundert zum Grab des Apostels Jakob
in Santiago de Compostela begeben wollte, konnte schließlich kein Flugzeug nehmen: Er musste sich zu Pferd oder eben zu Fuß auf den Weg machen. Von seinem Wohnort aus. So haben sich zwischen Flensburg und Konstanz, Aachen und Görlitz über die Jahrhunderte regelrechte »Pilgerautobahnen« herauskristallisiert, die in jüngerer Zeit verstärkt erforscht und wiederbelebt werden – nicht selten durch den erheblichen persönlichen Einsatz engagierter Menschen, die sich in den deutschen Jakobusbruderschaften zusammenfinden. Diese Organisationen – einige Adressen finden Sie im Anhang – sind zugleich ein hervorragender erster Anlaufpunkt, wenn man sich mit Informationen über die Deutschen Jakobswege eindecken möchte. Auch wenn es überraschend klingt: Für viele von Ihnen dürften es bis zum nächsten Zweig des Deutschen Jakobswegenetzes nur ein paar Kilometer sein – schauen Sie nur einmal auf die Karte im Anhang. Bei mir waren es gerade mal etwas über 20. Inzwischen – nach der Eröffnung eines neuen Wegabschnitts zwischen Dortmund und Aachen im September 2010 – wären es nicht mal fünf. Die Schilderung meines Weges zum »offiziellen« Pilgerpfad finden Sie als »Bonustrack« am Ende des Buches – aus rein dramaturgischen Gründen. Die Message bleibt aber:
    Man muss nicht nach Spanien, wenn man den Jakobsweg gehen möchte! Ihr Jakobsweg beginnt vor Ihrer Haustür.
    Das bedeutet aber auch, dass dieser Bericht über eine Pilgerreise, die mich 2009, im Jahr der Wirtschaftskrise, zum Pilgerstab hat greifen lassen, nur eine Momentaufnahme sein kann, ein Schlaglicht. Mein Santiago war Trier; Sie werden sich wahrscheinlich ein ganz anderes Ziel aussuchen. Köln? Bayreuth? Frei- oder Magdeburg? Oder – auf den Geschmack
gekommen – vielleicht doch die rund 3.000 Kilometer durchmarschieren bis Santiago de Compostela? Denn letztlich soll es hier um Sie gehen. Meine Erfahrungen sollen Ihnen zeigen, dass man den Weg auch als übergewichtige Sofakartoffel mit mäßiger Vorbereitung überleben kann. Sogar als Atheist. Und dass man am Ende eine ganze Menge mit nach Hause nimmt.
    Darum kommt es in diesem Buch auch nicht darauf an, was mir oder den Menschen, die ich getroffen habe – und deren Namen zum Teil geändert sind – unterwegs passiert ist. Es wird Ihnen aber zeigen, dass etwas passieren kann! Weil sehr wahrscheinlich auch mit Ihnen etwas passieren wird, wenn Sie diese Reise wagen. Sie werden andere Erfahrungen machen als ich – aber Sie können sicher sein: Der Jakobsweg funktioniert auch zwischen Paderborn und Köln, Rostock und Erfurt oder Marburg und Overath – wenn Sie sich darauf einlassen.
    Dazu will ich Sie ermutigen.
    Wo immer Ihr Ziel liegt: Wenn Sie da ankommen, sind Sie ein Jakobspilger.

Drei Heilige und ein Engel
Dienstag, 7. April 2009 – Dortmund bis Herdecke
    Um acht Uhr wache ich auf, so langsam, wie eine Luftblase in Honig aufsteigt. O. K.: Das mit dem Aufstehen hätte ich besser gelassen: Meine Rückenmuskeln sind verspannt wie Tiefseekabel, die Beine schwer wie Elbschlamm. Ich schleppe mich zum Fenster – und reiße mich im Nu zusammen, denn das Haus gegenüber entpuppt sich bei Tageslicht als Alten-»Residenz«; ich sehe zwar keine Bewohner – was die Sache nur unheimlicher macht –, aber die Zimmer sind in genau diesen aufdringlich hellen und aggressiv aufmunternden Farben gestrichen, wie man sie nur in Heimen, Krankenhäusern oder Kindergärten findet. Bevor ich so weit bin, denke ich, möchte ich doch noch gerne ein paar Dinge durchziehen! Diese Wanderung zum Beispiel.
    Der Frühstückssaal meiner

Weitere Kostenlose Bücher