Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
ruhig, Ki. Wir gehen ans Ufer zurück, aber du darfst dich nicht bewegen. Wenn du das doch tust, landen wir beide im Wasser.«
    Sie verhielt sich mustergültig. Als wir wieder auf der Straße standen und ich versuchte, sie abzusetzen, klammerte sie sich verbissen an mich. Das machte mir nichts aus. Ich überlegte, ob ich sie ins Warrington’s bringen sollte, entschied mich aber dagegen. Es gab Handtücher da drinnen, und wahrscheinlich auch trockene Kleidung, aber ich hatte den Verdacht, als würde auch eine Badewanne voll mit warmem Wasser auf uns warten. Außerdem ließ der Regen wieder nach, und diesmal sah der Himmel im Westen heller aus.
    »Was hat Mattie dir gesagt, Schatz?« fragte ich, als wir auf der Straße nach Norden gingen. Ki ließ sich absetzen, damit wir unter den umgestürzten Bäumen durchkriechen konnten, hob aber auf der anderen Seite jedesmal die Arme, damit ich sie wieder hochnahm.
    »Daß ich ein braves Mädchen sein soll und nicht traurig sein. Aber ich bin traurig. Ich bin sehr traurig.« Sie fing an zu weinen, und ich streichelte ihr nasses Haar.
    Als wir die Stufen aus Eisenbahnschwellen erreicht hatten, hatte sie sich ausgeweint … und über den Bergen im Westen konnte ich einen schmalen, aber leuchtenden blauen Streifen sehen.
    »Der ganze Wald ist umgefallen«, sagte Ki und sah sich um. Ihre Augen waren sehr groß.
    »Nun … nicht der ganze, aber eine Menge davon, schätze ich.«a
    Auf halbem Weg die Stufen hinauf machte ich eine Pause und schnaufte ernsthaft erschöpft. Aber ich fragte Ki nicht, ob ich sie absetzen konnte. Ich wollte sie nicht absetzen. Ich wollte nur wieder zu Atem kommen.

    »Mike?«
    »Was, Püppchen?«
    »Mattie hat mir noch etwas gesagt.«
    »Was?«
    »Kann ich flüstern?«
    »Klar, wenn du willst.«
    Ki beugte sich zu mir, hielt die Lippen an mein Ohr und flüsterte.
    Ich hörte zu. Als sie fertig war, nickte ich, gab ihr einen Kuß auf die Wange, setzte sie auf die andere Hüfte und trug sie den Rest des Wegs zum Haus hoch.
     
    ’s war nich der Sturm des Jahrhunnerts, Kumpel, bild dir das ja bloß nich ein. Nein, Sir.
    Das sagten die Oldtimer, die vor dem Lazarettzelt der Armee saßen, das in diesem Spätsommer und Herbst als Lakeview General diente. Eine riesige Ulme war über die Route 68 gefallen und hatte das Geschäft zerquetscht wie eine Pappschachtel. Um dem ganzen die Krone aufzusetzen, hatte die Ulme einige funkensprühende Stromkabel mitgerissen. Sie entzündeten Propangas aus einem aufgeplatzten Tank, und das ganze Ding ging hoch. Das Zelt war aber bei warmem Wetter ein ziemlich guter Ersatz, und die Leute im TR gewöhnten sich an zu sagen, daß sie ins MASH gingen, um Brot und Bier zu kaufen - weil man immer noch ein verblaßtes rotes Kreuz auf beiden Seiten des Zeltdachs sehen konnte.
    Die Oldtimer saßen auf Klappstühlen an einer Zeltwand, winkten anderen Oldtimern zu, wenn sie in ihren rostigen Oldtimern vorbeifuhren (alle beglaubigten Oldtimer fahren entweder Ford oder Chevy, also bin ich auf dem besten Weg dorthin), tauschten ihre Unterhemden gegen Flanellhemden, als die Tage zur Apfelwein-Zeit und Kartoffelernte hin kürzer wurden und verfolgten mit, wie die Stadt neu aufgebaut wurde. Und während sie das beobachteten, sprachen sie über den Eissturm des vergangenen Winters, der die Lichter ausblies und eine Million Bäume zwischen Kittery und Fort Kent zersplittern ließ; sie redeten über die Wirbelstürme im August 1985; sie redeten über den Graupelhurrikan von 1927. Nun,
das waren Stürme gewesen, sagten sie. Das waren Stürme gewesen, mein lieber Mann.
    Ich bin sicher, sie haben recht, und ich widerspreche ihnen nicht - man geht selten aus einer Debatte mit einem echten Yankee-Oldtimer als Sieger hervor, schon gar nicht, wenn es ums Wetter geht -, aber für mich wird der Sturm vom 21. Juli 1998 immer der Sturm sein. Und ich kenne ein kleines Mädchen, das genauso empfindet. Bei den Vorzügen der modernen Medizin könnte sie bis 2100 leben, aber ich glaube, auch für Kyra Elizabeth Devore wird es immer der Sturm sein. Der Sturm, in dem ihre tote Mutter in den See gekleidet zu ihr kam.
     
    Das erste Fahrzeug, das meine Einfahrt herunterkam, traf erst kurz vor sechs Uhr abends ein. Es war kein Streifenwagen der Polizei von Castle County, sondern eine gelbe Planierraupe mit gelbem Blinklicht auf dem Dach der Fahrerkabine und einem Mann im Overall der Elektrizitätsgesellschaft Central Maine am Steuer. Der Mann auf dem Beifahrersitz

Weitere Kostenlose Bücher