Sarg niemals nie
öffnete die Tür und sprang hinein.
Die Bänke und Wände der Kutsche waren mit weichem rotem Samt bespannt. Hastig zog ich die Vorhänge vor die Fenster, um mich vollends zu verbergen. Der starke Geruch nach Pferden erfüllte das Wageninnere und entströmte offenbar einem Haufen Mäntel und Decken, der mir gegenüber auf der Bank lag. Als ich ihn nach einem Kleidungsstück durchsuchte, unter dem ich meine Gefängnistracht verbergen konnte, entdeckte ich zu meinem Entsetzen einen schlafenden Mann, eingewickelt in Lagen von Pelz und Tuch. Wenn er erwachte, würde er mich sofort sehen. Ich tastete nach der Tür und wollte wieder hinausspringen und in den sicheren Wald zurückkehren, doch meine Furcht wuchs ins Unermessliche, als ich draußen die Schritte und das leise, müde Murmeln des Kutschers vernahm.
Mir blieb nicht mehr viel Zeit. Im letzten Moment legte ich den Riegel um und versperrte die Tür. Nur Sekunden später packte eine Hand den Griff, zerrte an der Tür, rüttelte leicht daran und erhob eine schroffe Stimme, die nach Alter, Kälte und Schnaps klang.
»Johnny!«, rief der Kutscher. »Mach auf, Johnny! Die Tür ist verriegelt, was treibst du da drinnen?«
Ich betrachtete den Schlafenden auf der gegenüberliegenden Bank, den der Kutscher vermutlich meinte. Der Mann machte keinerlei Anstalten zu erwachen.
»So öffne doch, Johnny! Es ist kalt hier draußen. Lass mich rein und einen Schluck trinken, ja?« Wieder rüttelte der Mann an der Tür und machte dabei einen solchen Lärm, dass ich sicher war, der schlafende Johnny müsse gleich erwachen. Da mir nichts Besseres einfiel, antwortete ich leise, wobei ich die Vorhänge vorgezogen ließ und mich weiterhin versteckt hielt.
»Äh, hallo?«, fragte ich. »Mein guter Herr Kutscher?«
»Was ist das jetzt?«, erwiderte er. »Wer ist da drin?«
»Tja, ich bin es«, sagte ich. »Äh, Frederick Whithers.«
»Frederick Whithers? Der Mann, auf den wir schon den ganzen Abend warten?« Er pfiff durch die Zähne. »Wo haben Sie denn gesteckt?«
»Ja«, sagte ich, ohne seine Frage zu beantworten. »Vielen Dank, dass Sie gewartet haben. Wir können losfahren. Es ist schon spät, wie Sie wissen.«
»Schon spät?«, meinte der Kutscher. »Es ist nach Mitternacht, und wir können von Glück reden, wenn wir rechtzeitig zum Frühstück in London sind. Wie lange hätten wir denn noch warten sollen?«
»Einfach nur lange genug, damit ich Sie hier treffe«, antwortete ich, »was ja nun geschehen ist. Also gibt es keinen Grund, noch länger zu zögern. Auf nach London, bitte!«
»Und warum haben Sie sich derart heimlich in die Kutsche geschlichen?«, fuhr er fort. »Woher sind Sie überhaupt gekommen? Aus dem Wald? Da habe ich gerade ein Geschäft erledigt, und verdammt will ich sein, wenn ich irgendetwas gehört habe.«
»Ja, wissen Sie, das ist eine … eine etwas delikate Angelegenheit, um es vorsichtig auszudrücken.« Um das Thema zu wechseln, fügte ich eine Frage hinzu. »Sie sind doch schon bezahlt worden, nicht wahr?«
»Aber klar«, sagte er. »Von dem Mann, der die Kutsche gemietet hat. Ein ausländischer Kerl, wenn ich mich recht entsinne, der Gustav hieß. Schmutzige Fingernägel hat er gehabt, keine Frage. So was sollte ein Mann, der im Stall arbeitet, eigentlich nicht sagen, ich weiß, aber ich halte meine Sachen sauber und wasche mir die Hände, wenn ich sie mir dreckig gemacht habe. Falls Sie verstehen, was ich meine. Meine Livree ist makellos, und …«
»Das ist ja eine fesselnde Geschichte über Ihre Körperpflege«, unterbrach ich ihn. »Aber jeder Augenblick, den wir hier verschwatzen, ist ein Augenblick, um den ich zu spät zum Frühstück komme.«
»Wo Sie recht haben, da haben Sie recht, Mister Whithers, und so wahr ich hier stehe, damit haben Sie recht.« Er seufzte zufrieden. »Ich komm auch nicht gern zu spät zum Frühstück – ich mag eine gute Wurst am Morgen und vielleicht ein wenig Dünnbier. In London gibt es ein Lokal, das ich morgen in der Frühe aufsuchen will. Da gibt es das beste Frühstück, das Ihnen je aufgetischt wurde, das ist eine Tatsache. Ist fast so gut wie das Bier, das es dort zum Abendessen …«
»Je eher wir aufbrechen, desto eher können Sie das süffige Bier genießen«, unterbrach ich ihn abermals.
»Natürlich, Sir«, sagte er, »und ich lade Sie sogar ein, nur um Ihnen zu beweisen, wie köstlich dort alles schmeckt. Das Krötenloch , so nennt es sich. Ein besseres Lokal gibt es in ganz England
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