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Sarrasine (German Edition)

Sarrasine (German Edition)

Titel: Sarrasine (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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die Schamhaftigkeit seiner Geliebten sah, ernsthafte Betrachtungen über die Zukunft an.
    ›Ohne Frage will sie geheiratet werden‹, sagte er sich. Und nun kostete er im voraus die Wonnen dieser Ehe. Sein ganzes Leben schien ihm nicht lang genug, all das Glück auszuschöpfen, das er auf dem Grund ihrer Seele fand. Sein Nachbar Vitagliani goß Sarrasines Glas so oft voll, daß er gegen drei Uhr morgens zwar nicht völlig betrunken, aber doch außerstande war, gegen seine rasende Begier anzukämpfen. In einem Augenblick wilder Leidenschaft hob er das Weib in die Höhe und trug es in eine Art Boudoir, das an den Salon stieß. Er hatte die Tür, die da hineinführte, schon lange ins Auge gefaßt. Die Italienerin hatte mit einem Mal einen Dolch in der Hand.
    ›Wenn du näher kommst,‹ sagte sie, ›muß ich dir den Stahl ins Herz bohren! Nein, nein, du würdest mich verachten! Ich habe zuviel Achtung vor deinem Charakter bekommen, mich so preiszugeben. Ich will nicht in deinem Gefühl für mich sinken.‹ ›O, o!‹ rief Sarrasine, ›das ist ein schlechtes Mittel, eine Leidenschaft zu löschen, wenn man sie schürt. Bist du denn schon so verderbt, daß du, obwohl dein Herz alt ist, dich wie eine junge Kurtisane benimmst, die die Leidenschaften scharf schleift, mit denen sie Handel treibt?‹ ›Aber es ist heute Freitag!‹ erwiderte sie voller Angst vor der Heftigkeit des Franzosen.
    Sarrasine, der nicht fromm war, fing an zu lachen. Die Zambinella machte einen Satz wie ein junges Reh und flüchtete in den Saal. Als Sarrasine hinter ihr herlief und so in den Saal sprang, wurde er von einem höllischen Gelächter begrüßt. Er sah die Zambinella wie ohnmächtig auf einem Sofa liegen. Sie war blaß und erschöpft von der ungewohnten Anstrengung, die sie hinter sich hatte. Obwohl Sarrasine wenig Italienisch konnte, verstand er doch, wie seine Geliebte leise zu Vitagliani sagte: ›Er wird mich ja töten!‹
    Dieser seltsame Auftritt machte den Bildhauer ganz wirr. Er kam wieder zur Vernunft. Zuerst blieb er unbeweglich; dann fand er seine Sprache wieder, setzte sich zu seiner Geliebten und beteuerte ihr seine Achtung. Er fand die Kraft, den Ausdruck seiner Leidenschaft zu wechseln, und hielt nun dem Weibe die glühendsten Reden; um seine Liebe zu schildern, entfaltete er allen Reichtum der zwingenden, magischen Beredsamkeit, die den Liebenden so gern ihre Dienste leiht, der aber die Frauen nur so selten glauben wollen. Als das erste Leuchten des Morgens die Teilnehmer an dem Gelage überraschte, schlug eine Frau vor, nach Frascati zu fahren. Alle begrüßten den Einfall, den Tag in der Villa Ludovisi zu verbringen, mit lebhafter Zustimmung. Vitagliani ging hinunter, um Fuhrwerke zu bestellen. Sarrasine hatte das Glück, die Zambinella in einem Phaethon zu fahren. Nachdem sie Rom erst hinter sich hatten, erwachte die Heiterkeit wieder, die zuvor bei allen dem Kampf mit dem Schlaf gewichen war. Alle, Männer und Frauen, schienen an dieses seltsame Leben, an diese endlosen Vergnügungen, an diesen Künstlertaumel gewöhnt, der das Leben zu einem unaufhörlichen Fest macht, bei dem man ohne Hintergedanken vergnügt ist. Die Gefährtin des Bildhauers war die einzige, die niedergeschlagen schien.
    ›Sind Sie nicht wohl?‹ fragte Sarrasine sie; ›möchten Sie lieber nach Hause fahren?‹ ›Ich bin nicht stark genug, um all diesen Ausschweifungen standzuhalten‹, erwiderte sie; ›ich brauche große Schonung. Aber neben Ihnen fühle ich mich so wohl! Wenn Sie nicht gewesen wären, wäre ich nicht bei diesem Souper geblieben; eine durchwachte Nacht raubt mir all meine Frische.‹ ›Sie sind so zart!‹ versetzte Sarrasine und sah auf die zierlichen Formen des entzückenden Geschöpfes. ›Die Orgien ruinieren mir die Stimme.‹ ›Jetzt, wo wir allein sind‹, rief der Künstler, ›und wo Sie die Glut meiner Leidenschaft nicht mehr zu fürchten haben, sagen Sie mir, daß Sie mich lieben.‹ ›Wozu?‹ gab sie zurück, ›was soll das nützen? Ich habe Ihnen gut gefallen. Aber Sie sind Franzose, und Ihr Gefühl wird vergehen. O, Sie können mich nicht lieben, wie ich geliebt sein möchte.‹ ›Wie denn?‹ ›Ohne das Ziel der gewöhnlichen Leidenschaft, rein. Die Männer sind mir vielleicht noch mehr zum Abscheu, als ich die Frauen hasse. Ich muß mich in die Freundschaft flüchten. Die Welt ist für mich öde. Ich bin ein Geschöpf, das verflucht ist; bin dazu verdammt, das Glück zu begreifen es zu fühlen, es zu

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