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Sarrasine (German Edition)

Sarrasine (German Edition)

Titel: Sarrasine (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Unternehmens übertrieben groß vor und fütterte seine Leidenschaft für den Anfang nur mit dem Glück, die Geliebte ohne Hindernis bewundern zu können. Dieses Goldene Zeitalter der Liebe, in dem wir uns an unserem eigenen Gefühl erquicken und fast durch uns selber beglückt werden, konnte bei Sarrasine nicht von langer Dauer sein. Die Ereignisse jedoch überfielen ihn, während er noch unter dem Zauber dieser jugendlichen Halluzination voller Unschuld und Wollust stand. In acht Tagen lebte er ein ganzes Leben: morgens war er damit beschäftigt, den Ton zu kneten, mit dessen Hilfe es ihm gelingen sollte, die Zambinella trotz den Schleiern, Röcken, Korsetten und Bandschleifen, die sie ihm verbargen, wiederzugeben. Am Abend war er schon früh in seiner Loge, die er allein für sich hatte, und da genoß er, auf einem Sofa liegend, wie ein Türke im Opiumrausch, ein so reiches, so verschwenderisches Glück, wie er es begehrte. Zunächst machte er sich allmählich mit den zu wilden Erregungen vertraut, die ihm der Gesang der Geliebten verursachte; dann gewöhnte er seine Augen daran, sie zu sehen, und konnte schließlich auf sie blicken, ohne den Ausbruch der dumpfen Wut befürchten zu müssen, die ihn am ersten Tag überfallen hatte. Seine Leidenschaft wurde tiefer und stiller zugleich. Übrigens duldete der wilde Bildhauer nicht, daß seine Einsamkeit, die von Bildern bevölkert, von den Gaukelbildern der Hoffnung geschmückt und voller Glück war, von seinen Kameraden gestört wurde. Er liebte mit solcher Gewalt und so unschuldsvoll daß er all die kindlich-reinen Gewissensqualen durchmachte, die uns befallen, wenn wir zum ersten Mal lieben. Als er anfing zu merken, daß es bald zu handeln und zu intrigieren galt, daß er auskundschaften mußte, wo die Zambinella wohnte, ob sie eine Mutter, einen Onkel, einen Vormund, eine Familie hatte; als er ernstlich an die Mittel dachte, sie zu sehen und mit ihr zu sprechen, da spürte er, wie sein Herz von ehrgeizigen Bildern so anschwoll, daß er diese Sorgen auf den nächsten Tag verschob; er war glücklich mit seinen physischen Qualen wie mit den Wonnen seines Geistes.«
    »Aber«, unterbrach mich Frau von Rochefide, »ich sehe noch nichts von Marianina und ihrem alten Männchen.« »Sie sehen nur ihn!« rief ich, ungeduldig wie ein Dramatiker, dem man einen Bühneneffekt verdirbt.
    »Seit mehreren Tagen«, fuhr ich nach einer Pause fort, »hatte sich Sarrasine so getreulich in seiner Loge eingefunden und aus seinen Blicken sprach so deutlich die Liebe, daß seine Leidenschaft für die Stimme Zambinellas das Gespräch von ganz Paris gewesen wäre, wenn diese Geschichte sich hier abgespielt hätte; aber in Italien, meine Gnädigste, ist jeder für sich mit seinen eigenen Leidenschaften im Theater und mit eigenem Herzensinteresse, das für die Spionage mit den Operngläsern keine Zeit läßt. Jedoch konnte die Raserei des Bildhauers den Blicken der Sänger und Sängerinnen nicht lange entgehen. Es wäre schwer zu sagen, was für Torheiten er begonnen hätte, wenn die Zambinella nicht in Aktion getreten wäre. Sie warf Sarrasine einen der beredten Blicke zu, die oft viel mehr sagen, als die Frauen hineinlegen wollen. Dieser Blick war eine ganze Offenbarung. Sarrasine war geliebt!
    ›Wenn das nur eine Laune ist,‹ dachte er, indem er schon gegen seine Geliebte mißtrauisch war, ›dann kennt sie die Herrschaft nicht, unter die sie fallen wird. Ihre Laune wird hoffentlich so lange dauern wie mein Leben.‹
    In diesem Augenblick hörte der Künstler, wie dreimal leicht an seine Logentür geklopft wurde. Er öffnete. Eine alte Frau trat geheimnisvoll ein.
    ›,Junger Herr,‹ sagte sie, ›wenn Sie glücklich sein wollen, seien Sie vorsichtig! Schlagen Sie einen Mantel um sich, setzen Sie einen großen Hut tief ins Gesicht und finden Sie sich dann um zehn Uhr abends auf dem Korso vor dem Spanischen Hof ein!‹ ›Ich werde dort sein‹, erwiderte er und steckte der Duenna zwei Louisdor in die runzlige Hand. Er machte der Zambinella ein Zeichen des Einverständnisses, und sie senkte schüchtern ihre wollüstigen Lider, wie eine Frau, die glücklich ist, daß sie endlich verstanden wird; dann verließ er die Loge. Er eilte nach Hause, um dort seine Toilette so verführerisch zu machen, wie es ihm nur möglich war. Als er das Theater verließ, ergriff ihn ein Unbekannter beim Arm.
    ›Nehmen Sie sich in acht, Herr Franzose‹, flüsterte er ihm ins Ohr; ›es geht um Leben und

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