Sarrasine (German Edition)
ersehnen, und bin, wie so viele andere, gezwungen, es mich stündlich fliehen zu sehen. Denken Sie daran, Signor, daß ich Sie nicht getäuscht habe. Ich verbiete Ihnen, mich zu lieben! Ich kann Ihnen ein hingebender Freund sein, und ich bewundere Ihre Kraft und Ihren Charakter. Ich brauche einen Bruder, einen Beschützer. Seien Sie das für mich, es ist viel, aber nichts anderes.‹ ›Sie nicht lieben!‹ rief Sarrasine; ›aber, geliebter Engel, du bist mein Leben, mein Glück!‹ ›Wenn ich ein Wort sagte, würdest du mich mit Abscheu von dir stoßen!‹ ›Kokette! Nichts kann mich schrecken! Sag mir, daß ich dir meine Zukunft geben muß, daß ich in zwei Monaten sterbe, daß ich verdammt bin, wenn ich dich nur umarme...‹ Und er umarmte sie trotz allen Anstrengungen, die die Zambinella machte, sich seiner Wildheit zu entziehen. ›Sag mir, daß du ein böser Geist bist, daß ich dir mein Vermögen, meinen Namen, all meinen Ruhm geben muß! Willst du, daß ich kein Bildhauer bin? Sprich!‹ ›Wenn, ich nun keine Frau wäre?‹ fragte die Zambinella schüchtern mit silberner und sanfter Stimme. ›Das ist ein Spaß!‹ rief Sarrasine; ›glaubst du das Auge, eines Künstlers zu täuschen? Habe ich nicht seit zehn Tagen deine vollendeten Formen verschlungen und geprüft und bewundert? Nur eine Frau kann diese runden, weichen Arme, diese feinen Linien haben. Ah, du willst, daß ich dir Schmeicheleien sage!‹ Sie lächelte traurig und murmelte: ›Verhängnisvolle Schönheit!‹
Sie hob die Augen zum Himmel. Ihr Blick hatte einen so unbeschreiblichen Ausdruck gewaltiger Angst, daß Sarrasine ein Zittern überkam.
›Signor Francese,‹ fing sie wieder an, ›vergessen Sie auf ewig einen Augenblick des Wahnsinns. Ich achte Sie; aber was Liebe angeht, fordern Sie sie nicht von mir; dieses Gefühl ist in meinem Herzen erloschen. Ich habe kein Herz mehr!‹ rief sie wild und weinte dabei; ›das Theater, wo Sie mich gesehen haben, der Beifall, die Musik, der Ruhm, zu dem man mich verdammt hat, das ist mein Leben, ich habe kein anderes. In wenigen Stunden werden Sie mich nicht mehr mit denselben Augen ansehen; die Frau, die Sie lieben, wird tot sein.‹
Der Bildhauer gab keine Antwort. Eine dumpfe Wut hatte ihn überfallen und preßte ihm das Herz zusammen. Er konnte diese außerordentliche Frau nur mit brennenden, flammenden Augen anschauen. Diese Stimme voller Schwäche, die Haltung, das Benehmen und die Gebärden Zambinellas, in denen Trauer, Schwermut und Mutlosigkeit lagen, weckten in seiner Seele alle Fülle der Leidenschaft. Jedes Wort war ein Stachel. In diesem Augenblick waren sie in Frascati angelangt. Als der Künstler die Arme ausstreckte, um dem geliebten Weibe beim Aussteigen zu helfen, fühlte er, wie ein furchtbarer Schauer sie überlief.
›Was haben Sie? Ich würde sterben,‹ rief er, als er sie erblassen sah, ›wenn Sie den geringsten Schmerz hätten, dessen wenn schon unschuldige Ursache ich wäre!‹ ›Eine Schlange!‹ flüsterte sie und wies auf eine Natter, die sich in einem Graben schlängelte; ›ich fürchte mich vor diesen abscheulichen Tieren.‹
Sarrasine zerquetschte der Natter mit einem Fußtritt den Kopf.
›Woher haben Sie so viel Mut?‹ fragte die Zambinella und sah mit sichtlicher Angst auf das tote Reptil. ›Nun,‹ fragte der Künstler lächelnd, ›möchten Sie immer noch vorgeben, Sie wären keine Frau?‹
Sie vereinigten sich mit ihren Gefährten und ergingen sich in den Hainen der Villa Ludovisi, die damals dem Kardinal Cicognara gehörte. Der Morgen verstrich dem verliebten Bildhauer zu schnell; aber es gab an ihm eine Menge kleiner Vorfälle, die ihm die Zierlichkeit, die Schwäche, die Zartheit dieser weichen und kraftlosen Seele verrieten. Sie war ganz das Weib mit seinen plötzlichen Ängsten, seinen sinnlosen Launen, seiner triebhaften Verwirrung, seiner grundlosen Verwegenheit, seiner Prahlerei und seiner entzückenden Feinheit der Empfindung. Als sie sich aufs freie Feld hinausgewagt hatten, sah die kleine Schar der fröhlichen Sänger von weitem ein paar Männer, die bis an die Zähne bewaffnet waren und deren Tracht nichts Vertrauenerweckendes hatte. Bei dem Wort ›Räuber!‹ verdoppelte jeder seine Schritte, um sich hinter der Einfriedigung der Villa des Kardinals in Sicherheit zu bringen. In diesem kritischen Augenblick merkte Sarrasine an Zambinellas Blässe, daß sie nicht mehr Kraft genug zum Gehen hatte; er nahm sie in seine Arme und trug sie
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