Sarrasine (German Edition)
Barry war, erschien ihr Gesicht, obwohl sie auch noch eine große Haube trug, doch noch zierlicher, und der Puder stand ihr gut. Wer sie so sah, mußte sie anbeten. Sie lächelte dem Bildhauer graziös zu. Sarrasine, der sehr unzufrieden war, daß er sie nur vor Zeugen sprechen konnte, setzte sich höflich neben sie, sprach mit ihr über Musik und rühmte ihr wunderbares Talent; aber seine Stimme zitterte vor Liebe, Furcht und Hoffnung.
›Was fürchten Sie?‹ fragte ihn Vitagliani, der berühmteste Sänger der Truppe. ›Unbesorgt! Sie haben hier keinen einzigen Nebenbuhler zu fürchten.‹
Nachdem er das gesagt hatte, lächelte der Tenor still vor sich hin. Auf den Lippen aller anderen Gäste wiederholte sich dieses Lächeln, in dem sich ein Spott versteckte, der einem Liebhaber entgehen mußte. Die Tatsache, daß seine Liebe bekannt war, war für Sarrasine, wie wenn er plötzlich einen Dolchstich ins Herz bekommen hätte. Er hatte eine große Charakterstärke, und vor allem konnte nichts in der Welt die Heftigkeit seiner Leidenschaft niederzwingen; aber es war ihm noch nicht in den Sinn gekommen, daß die Zambinella fast eine Kurtisane war und daß er nicht zu gleicher Zeit die reine Freude, die die Liebe eines jungen Mädchens so köstlich macht, und die stürmische Leidenschaft empfinden konnte, mit denen eine Schauspielerin ihren gefährlichen Besitz sich erkaufen läßt. Er sann nach und beschied sich. Das Souper wurde aufgetragen. Sarrasine und die Zambinella setzten sich ohne weiteres nebeneinander. Während der ersten Hälfte des Mahles blieben die Künstler innerhalb gewisser Schranken, und der Bildhauer konnte mit der Sängerin plaudern. Er fand sie witzig und klug; aber sie war überraschend unwissend und erwies sich als schwach und abergläubisch. Die Zartheit ihrer Glieder hatte ihr Gegenstück in ihrem Verstande. Als Vitagliani die erste Champagnerflasche öffnete, las Sarrasine in den Augen seiner Nachbarin einen nicht geringen Schrecken vor dem kleinen Knall, den die Ausdehnung der Gase verursachte. Das unwillkürliche Zittern dieses Frauenorganismus deutete der verliebte Künstler als das Symptom eines außerordentlichen Empfindungsvermögens. Diese Schwäche entzückte den Franzosen. Es ist so viel Lust, Schutz zu leisten, in der Liebe des Mannes. ›In meiner Stärke sollst du wie hinter einem Schild geborgen sein!‹ Steht dieser Satz nicht auf dem Grunde jeder, Liebeserklärung geschrieben? Sarrasine, der zu leidenschaftlich war, bei der schönen Italienerin Galanterieen anzubringen, war, wie alle Liebenden, hintereinander ernst, ausgelassen oder gesammelt. Obwohl er hören konnte, was die anderen sprachen, achtete er auf kein Wort von allem, was sie sagten; so ganz gab er sich dem Vergnügen hin, neben ihr zu sein, ihre Hand zu streifen, sie zu bedienen. Er schwamm in geheimer Wonne. Obwohl einige Blicke, die sie tauschten, beredt genug waren, war er doch über die Zurückhaltung, die die Zambinella ihm gegenüber übte, erstaunt. Sie hatte wohl zuerst begonnen, ihm den Fuß zu drücken und ihn mit der Schelmerei einer freien und verliebten Frau anzulocken; aber dann hatte sie sich plötzlich in die Schüchternheit eines jungen Mädchens gehüllt, nachdem Sarrasine etwas erzählt hatte, aus dem die ungewöhnliche Heftigkeit seines Charakters hervorging. Als das Souper zur Orgie wurde, fingen die Gäste, vom Peralta und vom Pedro-Ximenez begeistert, an zu singen. Sie sangen entzückende Duette, kalabrische Weisen, spanische Seguidillen und neapolitanische Kanzonetten. Die Trunkenheit war in aller Augen, in der Musik, in den Herzen und in den Stimmen. Mit einem Male strömte da eine bezaubernde Lebhaftigkeit, eine herzliche Hingebung, eine italienische Gutmütigkeit über, von der man denen keinen Begriff machen kann, die nur die Soireen von Paris, die Gesellschaften von London oder die Empfänge von Wien kennen. Die Scherze und die Liebesworte, Lachen, Flüche und Anrufungen der Muttergottes und des Bambino flogen wie Kugeln in einer Schlacht übereinander weg. Einer legte sich auf ein Sofa und schlief ein. Ein junges Mädchen hörte einer Liebeserklärung zu, ohne zu merken, daß sie Sherry auf das Tischtuch goß. Mitten in dieser Unordnung war die Zambinella wie von Angst verfolgt und blieb nachdenklich. Sie wollte nicht trinken, sprach dafür vielleicht etwas stark dem Essen zu; aber die Liebe zur guten Küche ist ja, wie man sagt, bei den Frauen sehr reizvoll. Sarrasine stellte, als er
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