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Sarrasine (German Edition)

Sarrasine (German Edition)

Titel: Sarrasine (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Aussehen eines menschlichen Antlitzes nahmen. Dann hatten die Jahre die gelbe und dünne Haut dieses Gesichtes so stark auf die Knochen gepreßt, daß eine Unzahl Falten entstand, die entweder kreisförmig übereinanderlagen, wie die kleinen Wellen im Wasser, wenn ein Kind einen Kiesel hineingeworfen hat, oder die sternförmig waren, wie wenn eine Scheibe zertrümmert worden ist; aber immer waren sie tief und so dicht beisammen wie die Blätter am Schnitt eines Buches. Es mag Greise geben, deren Erscheinung noch abstoßender ist; was jedoch am meisten dazu beitrug, dem Gespenst, das uns so plötzlich erschienen war, den Anschein eines künstlichen Gebildes zu geben, war das Rot und das Weiß, das auf ihm glänzte. Seine Larve war genügend beleuchtet, daß man die sorgfältig ausgeführte Malerei erkennen konnte. Für den Beschauer, den der Anblick eines solchen Verfalls düster stimmen mochte, war es noch ein Glück, daß der leichenhafte Schädel unter einer blonden Perücke verborgen war, deren zahllose Locken eine außergewöhnliche Eitelkeit verrieten. Die weibische Gefallsucht dieser märchenhaften Gestalt wurde überdies deutlich genug von den goldenen Ohrringen und von den Ringen bekundet, deren wunderbare Steine an seinen Knochenfingern glänzten; außerdem trug er eine Uhrkette, die blitzte wie die Diamantenschnüre am Hals einer Frau. Schließlich hatte diese Art japanischer Götze ein stereotypes Lächeln auf seinen bläulichen Lippen, das grausam und höhnisch war wie das Grinsen eines Totenkopfes. Er saß schweigsam und unbeweglich da, und ein muffiger Duft ging von ihm aus, wie von alten Kleidern, die etwa die Erben einer Herzogin bei der Aufnahme des Nachlasses aus alten Schubladen wie aus einem verschlossenen Grabe nähmen. Wenn der Greis seine Augen der Gesellschaft zuwandte, sah es so aus, als ob diese Kugeln, aus denen kein Funke strahlte, sich mit Hilfe eines verborgenen Apparates hin und her drehten; und wenn die Augen stillstanden, konnte niemand glauben, daß sie sich je bewegt hätten. Sah man nun neben diesem Wrack eines Menschen ein junges Weib, dessen Hals, Arme und Brust nackt und strahlend waren, dessen volle und blühende Formen, dessen Haar, das anmutig über der alabasternen Stirn lag, zur Liebe verführen mußten, dessen Augen das Licht nicht zu empfangen, sondern auszustrahlen schienen, das hold und frisch war und dessen duftige Locken, dessen balsamischer Atem zu schwer, zu stark, zu mächtig schienen für diesen Schatten, diesen aus Staub geborenen, zu Staub werdenden Menschen: o, das war fürwahr der Tod und das Leben, das Bild meines Denkens, eine Phantasiegestalt, eine Schimäre, die zur Hälfte widerwärtig und von den Hüften an ein göttliches Weib war.
    ›Und dabei gibt es in der vornehmen Welt oft genug derlei Ehen‹, sagte ich mir.
    »Er riecht nach dem Kirchhof!« rief das junge Weib fassungslos. Sie drängte sich an mich, wie um Schutz bei mir zu suchen; ich merkte an ihren wilden Gebärden, daß sie große Angst ausstand. »Das ist ein schauderhafter Anblick,« fuhr sie fort, »ich werde hier nicht lange bleiben können. Wenn ich ihn noch eine Weile sehe, glaube ich wahrhaftig, daß der Tod in Person gekommen ist, um mich zu holen. Lebt er denn überhaupt?«
    Mit der Kühnheit, die die Frauen aus der Heftigkeit ihrer Triebe schöpfen, legte sie die Hand auf die Gestalt; aber kalter Schweiß brach aus ihren Poren, denn kaum hatte sie den Alten berührt, als sie einen Schrei wie den eines Habichts hörte. Diese scharfe Stimme, wenn das überhaupt Stimme zu nennen war, entrang sich einer fast vertrockneten Kehle. Diesem Ruf folgte rasch ein krampfhaftes Kinderhüsteln, das ganz absonderlich schneidend klang. Bei diesem Geräusch warfen uns Marianina, Filippo und Frau von Lauty Blicke zu, die wie Blitze waren. Das junge Weib neben mir wünschte sich unter die Erde. Sie faßte mich beim Arm und zog mich in ein Boudoir. Alle, Männer und Frauen, machten uns Platz. Als wir am Ende der Empfangsräume angelangt waren, traten wir in ein kleines, halbkreisförmiges Gemach. Meine Gefährtin warf sich auf einen Diwan. Sie zitterte vor Angst und wußte nicht, wo sie war.
    »Meine Gnädigste, Sie sind außer sich«, sagte ich zu ihr. »Aber«, versetzte sie nach einem Augenblick des Schweigens, in dem ich Zeit hatte, sie bewundernd anzublicken, »was kann ich dafür? Warum läßt Frau von Lauty in ihrem Palast Gespenster umgehen?« »Nun, nun,« antwortete ich, »stellen Sie sich

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