Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
frönen. Landstreicher, Eltern unehelicher Kinder und Huren wurden auf dem Marktplatz an einen Pfosten gebunden und bis aufs Blut ausgepeitscht. Wenn Abigail auf ihrer Beschwerde bestand, mußten die Behörden dieses Urteil vollstrecken.
    Als Edward zu den Masons in die Culver Street eilte, fragte er sich, wie sie ihn empfangen würden. Wie würde der Schlagabtausch mit der respekteinflößenden Frau, die er bewunderte, verlaufen? Sie bat ihn höflich herein. Er legte sein Anliegen kurz dar: Nellie war nicht verworfen; die Familie war arm; in seiner törichten Begeisterung versprach er sogar, für ihr zukünftiges gutes Verhalten einzustehen. Aus den Augenwinkeln sah er, daß Peter Mason Hoffnung schöpfte, und dadurch ermutigt, bat er Abigail, ihre Klage zurückzuziehen. Sie starrte ihn an, als hätte sie ein Kind vor sich.
    »Wißt Ihr nicht, Edward Shockley, daß wir die Sünde strafen und nicht den Sünder?« Er sah ihre ruhigen, leidenschaftslosen Augen und errötete. »Vielleicht bessert sie sich«, wandte er ein, aber ihr Blick ließ die Vermutung absurd erscheinen. Er suchte nach etwas anderem.
    »Laßt die Richter die Strafe entscheiden«, sagte sie und fügte sanfter und sogar lächelnd hinzu: »Ihr seid ein gütiger Mensch, Edward Shockley. Nach der Bestrafung werdet Ihr Gelegenheit haben, der Sünderin Mitleid zu zeigen.«
    Wie sicher sie sich war! Er ging betrübt von dannen und wußte, daß die junge Frau ihren Leidensweg gehen mußte.
    Nellie Godfrey hatte allerdings andere Pläne. Peter Mason hatte sie heimlich gewarnt. Kurz vor Mittag ging sie zum Haus ihres Bruders, wo er sie vorfand, als er von Edward Shockley zurückkam. Sie trug eine Schultertasche, die fast ihre gesamte bewegliche Habe enthielt.
    »Ich gehe«, sagte sie bloß.
    Er wollte protestieren, aber sie unterbrach ihn. »Mein Leben hier ist vorbei, Bruder. Sie wollen mich auf dem Marktplatz auspeitschen. Ich werde Landstreicherin. Ich versuche mein Glück.«
    »Wohin willst du?« fragte er betroffen.
    »Nach Westen.« Der große Hafen von Bristol war ein Ort, wo sie Unterkunft finden konnte, ohne daß man ihr allzu viele Fragen stellte. Dort konnte sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen. Er seufzte. Er vermutete, daß sie auch dort eine Hure sein würde; der Hafen war ein brutaler Platz. Er wollte nicht über ihr weiteres Schicksal nachdenken.
    »Werde ich dich wiedersehen?« fragte er.
    Sie drehte sich um; ihre strahlendblauen Augen umfingen ihren sanften Bruder im völligem Begreifen. »Ich glaube kaum«, sagte sie und machte sich auf den Weg.
    Als sie auf die Fisherton Bridge zuging, begegnete sie Edward Shockley. »Ich konnte sie nicht hindern«, sagte er. »Keine Sorge. Ich gehe.«
    Die Sonne war warm. Auf er Straße nach Wilton war Nellie nicht schwer ums Herz. Sie vermutete, daß der Büttel keine großen Anstrengungen unternehmen würde, sie zu finden, sobald man ihre Abwesenheit entdeckte. Eigentlich empfand sie sogar Erleichterung darüber, daß sie gezwungen war, ihrem Leben durch die plötzliche Krise eine neue Richtung zu geben.
    Eine knappe Meile nach der Fisherton Bridge, als sie durch das Dorf Bemerton wanderte, sah sie einen Fuhrmann, der sich erbot, sie nach Barford, gegenüber von Wilton, mitzunehmen. Als sie auf den Wagen kletterte, kam überraschenderweise Edward Shockley auf einem alten kastanienbraunen Pferd herangeritten. Bevor sie etwas sagen konnte, ließ der junge Mann ein kleines Portemonnaie in ihre Hand gleiten, murmelte: »Gott sei mit dir.« Dann wendete er errötend sein Pferd und galoppierte davon. Das Täschchen enthielt zehn Pfund.
    Am 6. Juli 1553 hauchte Eduard VI. von England, der fromme protestantische Kindkönig, sein Leben aus.
    Seit einem Monat war man darauf gefaßt gewesen, aber jetzt wartete ganz England zitternd darauf, was folgen sollte. Was kam, erwies sich als eine der seltsamsten Episoden in der englischen Geschichte: Im Juli des Jahres 1553 wurde der Thron von England an Lady Jane Grey vergeben.
    Es war eine ungewöhnliche Situation. Die beiden Töchter Heinrichs VIII. waren übergangen worden, ihr Bruder Eduard hatten den Thron testamentarisch einer entfernten Kusine der weiblichen Königslinie vermacht, vielleicht um die Krone einem veritablen Protestanten zu sichern. Dies war die sogenannte Devise König Eduards. Tatsächlich war es eine Intrige und hatte wenig mit Eduard selbst oder Lady Jane Grey zu tun. Cranmer und die Protestanten wollten Eduards katholische Schwester Maria, die

Weitere Kostenlose Bücher