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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Männer betraf, sehr anziehend machten. Sie hatte ein fröhliches umgängliches Naturell und einen Körper, so voller Sinnlichkeit, daß die Luft um sie her geradezu davon erfüllt war.
    Sie war so zierlich, daß ihr Kopf mit dem kurzen dunkelbraunen Haar dem Flamen kaum bis zur Brust reichte. Sie trug eine hellrotes, halboffenes Mieder, das vorn mit Bändern geschnürt war, mit rot-blauen Polstern auf den Schultern, darunter eine dünne weiße Leinenbluse, dazu einen Trägerrock bis zu den Knöcheln, zierliche Lederschuhe und eine anmutige kleine Leinenhaube. Ihre größten Vorteile wurden von ihrer kleinen Statur entsprechend unterstrichen: leuchtendblaue Augen mit einem Goldschimmer um die Pupillen, die immer verführerisch blickten; ein strahlendes Lächeln, das zwei Reihen kleiner, makellos weißer Zähne enthüllte, und prachtvolle schwere Brüste. Aus der Nähe nahmen die Männer den berauschenden Duft von Moschus wahr, mit dem sie sich parfümierte, wenn sie es sich leisten konnte. »Diese Frau«, sagte Thomas Forest zu Shockley, »ist dafür geschaffen, von vielen Männern geliebt zu werden.«
    Nellie freute sich an ihrer aufreizenden Sinnlichkeit. Aber sie hatte noch eine größere Gabe. Abgesehen von der Wärme ihres vollendeten Körpers, von der Genugtuung der Männer, ihre Orgasmen zu erleben, schenkte sie ihnen auch echte Zuneigung und eine Weichheit, ja ein Gefühl einer seltsam anrührenden Verletzlichkeit. Nellie fand es schön, daß sie die meisten ihrer Liebhaber wirklich gern hatte. Zwar mußte sie sich manchmal auch anderen Männern verkaufen; aber meistens konnte sie sich den Lebensunterhalt als Mätresse einiger ausgewählter Männer in der Stadt verdienen. Natürlich bezahlten sie sie, sie mußte ja davon leben, aber wirklich wichtig waren ihr die Geschenke, um die sie nicht bat.
    Vor über siebzig Jahren war der alte Eustace Godfrey ein Einsiedler geworden, vor fünfundsechzig Jahren war er gestorben. Seither hatten drei Generationen dieser Familie kein gutes Leben gehabt. Zur Zeit von Nellies Großvater schwand das letzte Geld des Godfreys dahin. Ihr Vater war ein Trinker gewesen, und sie und ihr einziger Bruder Piers verwaisten, als sie dreizehn war. Piers war Zimmermann: ein ehrenwerter, ruhiger Mensch, der öfter kleinere Aufträge für Shockley übernahm, der mit ihm Freundschaft geschlossen hatte.
    Er hatte Nellie als junges Mädchen unterstützt, und er mochte sie noch immer gern, wenn er sich ihrer jetzt auch schämte. Mit zweiundzwanzig verdiente Nellie einen bescheidenen Lebensunterhalt. Sie besaß ein paar Schmuckstücke, die jedoch weniger wert waren, als sie dachte; sie hatte schöne Kleider von einem reichen Kaufmann. Sie war nicht unzufrieden, aber die Zukunft sah allmählich unsicher aus. Und als ihr Bruder einmal in sie drang: »Was willst du denn weiter tun, Nellie?«, konnte sie nur ungeduldig ausrufen: »Irgend etwas eben.« Sie weigerte sich, weiter darüber zu sprechen. »Du wirst nie einen Ehemann finden«, warnte sie Piers, »dein Ruf ist dahin.«
    Sie wußte, daß er recht hatte. Sie wollte nicht zugeben, daß sie sich fürchtete. Und doch war da etwas in ihr, das sie weitertrieb. »Ich werde mir etwas ausdenken«, antwortete sie trotzig, während ihre strahlendblauen Augen nach irgend etwas in Sarum Ausschau hielten.
    Sie kamen zu ihrem Quartier in der Culver Street. Der Flame war zufrieden neben ihr hergeschlendert, leicht schwankend und vor sich hin summend; jetzt betrachtete er die bescheidene Bleibe und rief: »Ich sehe ein Haus, das mir gefällt – weil eine Frau darin wohnt!« Und sein Lachen schallte die Straße hinunter.
    »Sei still!« flüsterte sie und schob ihn durch die Tür und die Treppe hinauf.
    Nellie Godfrey hatte noch nie Schwierigkeiten mit der Obrigkeit gehabt. Dies lag zum Teil an ihren freundschaftlichen Verbindungen mit einigen führenden Kaufleuten und sicher auch an ihrer Diskretion. Die angesehenen Wirte waren froh, sie für ihre wohlhabenden Kunden zur Verfügung zu haben, und sie bemühte sich, niemals die etwas sittenstrengen Bürger zu provozieren, indem sie sich öffentlich anbot. Der große Flame wußte nichts davon, es kümmerte ihn auch nicht. Gerade hatte er seine Frau und seine Familie finanziell gerettet; das Abkommen mit Forest und Shockley hatte ihm ein neues Leben eröffnet. Er war nicht vom Wein betrunken, sondern vor Glück, und oben in Nellies Zimmer wollte er sich einfach nicht ruhig verhalten. Er trappte schwer über die

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