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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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welligen Hügelkämme, die weiten, leeren Flächen, übersät mit den weißen Punkten der Schafe. Ungeduldig spähte er nach dem ersten Zeichen des Turmhelms am Horizont. Endlich wieder in Sarum!
    Am Spätnachmittag kam er an. Da war der Turm, der sich über die Stadt erhob. Die Straßen mit den Abflußkanälen in der Mitte schienen unverändert. Wie ruhig es war! Die Kriege in Europa zwanzig Jahre zuvor, der jetzige Kampf im fernen Amerika – das alles hatte die Stadt offenbar kaum berührt. Warum auch! Die stattliche Kathedrale, das stille sie umgebende Gelände, die mittelalterliche Marktstadt daneben – diese Dinge änderten sich nicht einfach mit der verstreichenden Zeit. In Sarum herrschte seit hundert Jahren eine Zeit der Ruhe.
    Ungeduldig ging Adam zum Haus am Kathedralgelände. Er hatte seinem Vater vor seiner Abfahrt aus Bristol geschrieben, so daß er erwartet wurde. Als er das Kathedralgelände durch das behäbige alte Tor betrat, mußte er plötzlich lachen: Er fühlte sich wieder wie als Kind. Ein nettes, junges Hausmädchen in hochgeschlossenem, grünweiß gestreiftem Kleid mit weißer Schürze öffnete ihm. Ihre Morgenhaube war mit einem Tuch über dem Haar zusammengebunden, eine braune Haarlocke spitzte hervor. Sie sah ihn ängstlich staunend an und flüchtete dann durch die Halle mit dem Ruf: »Der Hauptmann!« Gleich darauf erschien sein Vater. Er stülpte sich noch rasch die Perücke auf, bevor er dem Sohn die Hände entgegenstreckte: »Unser Held kehrt zurück.«
    Jonathan war schmal, fast hager, ansonsten – trotz seiner siebenundsechzig Jahre – nahezu unverändert. Er trug denselben langen, blauen, etwas abgetragenen Gehrock, den Adam von früher her kannte, die gleichen weißen Seidenstrümpfe und die Kniehosen eines Gentleman. »Dein Bruder und deine Schwester kommen bald nach Hause«, sagte er. »Sie wollen dich unbedingt gleich kennenlernen.« Wie gut es war, wieder zu Hause zu sein! Es hatte sich kaum etwas verändert. Die Wandtäfelung im Wohnzimmer war wohl etwas nachgedunkelt. Und in seinem Schlafzimmer stand ein schönes neues Bett mit vier Pfosten, und die Wände waren mit einer der hellen neuen Tapeten verkleidet, wie sie während seiner Kindheit gerade erst in Mode gekommen waren. Als er sich seinem Vater gegenüber in den bequemen alten Ledersessel setzte, fühlte er sich ganz zu Hause. Sein Halbbruder und seine Halbschwester waren die reine Freude. Falls er je zuvor eine Spur geheimer Eifersucht verspürt hatte, war sie vorüber, sobald er die beiden erblickte.
    Sie hatten das dunkle Haar ihrer Mutter, sonst kamen sie ganz auf die Shockleys: breite Gesichter, helle Haut, blaue Augen. Frances war fünfzehn, ihr Bruder Ralph zehn. Frances lief auf Adam zu und küßte ihn. Sofort hatte sie sein Herz gewonnen.
    Die nächste Stunde beantwortete er nur ihre Fragen: über den Krieg in Amerika, über Westindien, über sein ganzes Leben. Als Ralph hörte, daß Adam von Bristol gekommen war, fragte er erwartungsvoll: »Hast du den Straßenräuber gesehen?«
    »Der Junge denkt an nichts anderes«, erklärte Jonathan. In den letzten Monaten hatte ein Straßenräuber Reisende auf den Straßen um Bath ausgeraubt und war zu einem solchen Ärgernis geworden, daß die Familie der Forests, die Anteile an vielen Zollstellen hatte, sogar die erstaunliche Summe von fünfhundert Pfund für seine Festnahme geboten hatte. »Kürzlich hat er zehn Pfund von einer Dame in einer Kutsche gestohlen«, erzählte Jonathan lachend, »und er zog seinen Hut so höflich vor der Dame, daß ein vorbeireitender Gentleman ihn für ihren Bekannten hielt.«
    »Das nächstemal werde ich bestimmt nach ihm Ausschau halten.«
    »Hüte dich, hier wieder zu erscheinen, ohne den Straßenräuber gesehen zu haben«, rief Frances, »oder Ralph wird nichts von dir halten, auch wenn du in Amerika gekämpft hast«, neckte sie ihren Bruder. Auch der Vater hatte Neues zu berichten: Sir George Forest war vor kurzem gestorben, aber sein Sohn Sir Joshua war ebenso tüchtig wie er. Jonathan konnte dies beurteilen, denn er hatte erst zwei Jahre zuvor seine Verwalterstelle dort aufgegeben.
    Das Herrenhaus von Avonsford mit seinen versetzten Steinen, seinen Mauern aus Feuerstein und seinem bescheidenen Park war dem jungen Sir Joshua Forest nicht mehr angemessen. Solange sich die Familie damit begnügt hatte, der Gentry anzugehören, hatte es ausgereicht – aber Sir Joshua wollte mehr.
    »Erinnerst du dich an die Familie Bouverie, die das

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