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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Männer unterschied. Seine dunklen Augen blickten den Wächtern ohne Furcht oder Ärger entgegen. Er hieß John Hillier. Shockley hatte Mitleid mit ihm und sprach ihn an. »Ihr tragt einen Namen aus Wiltshire in England, Mr. Hillier«, sagte er lächelnd. »Ich komme aus Sarum, und dort gibt es viele Hilliers.« Der Junge nickte. »Mein Großvater hat Wiltshire den Rücken gekehrt«, antwortete er und blickte Adam ohne jede Gefühlsregung an. »Ach! Aus welchem Grund?«
    »Die Familie seiner Frau trat zu den Quäkern über. In Pennsylvania wurden sie lieber gesehen als in England.« Er war offensichtlich der vollkommenen Überzeugung, daß England durch ihren Weggang einen Verlust erlitten hätte. »Dann folgte mein Großvater ihnen nach.« Shockley dachte an die kleine Quäkergemeinde in Wilton, an die er sich erinnern konnte. Sie waren dort gerade toleriert worden. »Aber Ihr und Eure Familie, Ihr seid keine Quäker?«
    »Nein«, antwortete der Junge schlicht. »Quäker kämpfen nicht. Ich schon.«
    »Und was erhofft Ihr von diesem Kampf, Mr. Hillier?« Der Junge sah ihn überrascht an. »Freiheit«, sagte er einfach. Shockley hätte sich gern zu ihm gesetzt, um sich weiter zu unterhalten, aber das schickte sich nicht für einen Offizier; und so saß der junge Gefangene auf dem Boden, und der Offizier stand vor ihm.
    »Sagt mir, Mr. Hillier, was ist das für eine Freiheit, die Ihr sucht?«
    »Daß kein Mensch ohne Vertretung im Parlament besteuert werden darf, Sir. Daß alle Menschen frei sein sollen und Wahlrecht haben. Beides steht, glaube ich, im englischen Gewohnheitsrecht, in der Magna Charta. Diese Freiheiten wurden uns durch den König genommen.« Shockley hätte beinah laut gelacht, aber er beherrschte sich gerade noch.
    Weder im Gewohnheitsrecht noch in der großen Charta, die Erzbischof Langton für die Rechtslage zwischen König Johann und seinen Baronen ausgearbeitet hatte, stand ein Wort über Vertretung und Abgaben, geschweige denn über Wahlrecht. Der bloße Gedanke war absurd. Er versuchte einen anderen Weg. »Ihr sagt, daß Ihr die englischen Gesetze akzeptiert, Mr. Hillier, und doch leugnet Ihr die Autorität des Königs. Wie könnt Ihr dann Engländer sein?«
    »Welch ein König ist das, der deutsche Söldner gegen uns einsetzt?« erwiderte der Junge bitter.
    Adam konterte rasch: »Es ist bekannt, daß die Menschen hier ein Bündnis mit Englands Erzfeind Frankreich anstreben. Was, Mr. Hillier, wenn diese Rechte, von denen Ihr sprecht, nicht im Gewohnheitsrecht und nicht in der Charta zu finden sind? Wie würdet Ihr dann argumentieren?«
    Der Junge dachte nach. »Es sind natürliche Gesetze, die über den von Menschen gemachten stehen; Gott gab uns Vernunft, und die Vernunft sagt uns, daß diese Dinge gerecht sind.«
    Adam starrte ihn an. Es war erstaunlich. Aus seiner Schulzeit und seiner späteren Lektüre wußte er, daß es für solche Argumente Gründe gab. Hillier zog ein kleines Pamphlet aus der Tasche. Der Titel lautete Common Sense; es war von dem radikalen Schriftsteller Tom Paine verfaßt. »Hier steht vieles, was unsere Sache erklärt«, sagte er. »Lest es, wenn Ihr möchtet.«
    Adam hatte von dem Pamphlet gehört. Es war im Jahr zuvor geschrieben worden, und Kopien gab’s in der ganzen Kolonie verbreitet. Es war reinste Rebellion, wie er gehört hatte. Er schüttelte den Kopf. Er wollte es von dem Jungen persönlich hören. »Welche Autorität akzeptiert Ihr denn?«
    »Mein Gewissen«, sagte er einfach.
    Da sah Adam alles plötzlich ganz klar: Daß John Hilliers Argumente hinsichtlich der Verfassung nicht stimmten; daß er Ideen über Freiheit und Gerechtigkeit äußerte, die den Philosophen vorbehalten waren; daß er nichts von den Jahrhunderten vorsichtigen Ausgleichens von Autorität und Recht zwischen Kirche, Staat und Individuum wußte, von der Beweisführung der Reformation, von Bürgerkrieg und Glorreicher Revolution – all das spielte für diesen Jungen überhaupt keine Rolle. Die Kämpfe der Alten Welt, auch wenn sie ein gewisses Maß an Freiheit bewirkt hatten, wurden in der Neuen Welt vergessen. »Aber wenn Ihr mit Euren Forderungen recht bekämt, würde das Volk herrschen«, sagte er. »Fürchtet Ihr Euch nicht davor?«
    »Welchen Grund hätte ich?«
    Diese Unterhaltung ging Adam nicht mehr aus dem Sinn. Als sie sich auf die Offensive am Hudson in Richtung New York vorbereiteten und die anderen Offiziere glorreiche Siege voraussagten, verließ ihn seine eigene Vorahnung

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