Satori - Winslow, D: Satori - Satori
Baumwollbluse offensichtlich von keinem BH eingezwängt wird. Jetzt vergleicht er stirnrunzelnd das Gesicht des jungen Mannes mit seinem Foto.
»Das Passbild der Zielperson wurde aufgenommen, bevor er sich diesen albernen Bart wachsen ließ«, erklärte Starr.
Achselzuckend stempelt der Einwanderungsbeamte den Pass. Der zweite junge Mann wird mit derselben Mischung aus Misstrauen und Inkompetenz behandelt. Sein Pass wird sogar zweimal gestempelt, weil der italienische Beamte so sehr in die Bluse der Rothaarigen vertieft ist, dass er beim ersten Mal vergisst, das Stempelkissen zu benutzen. Die jungen Männer nehmen ihre Rucksäcke und werfen sie sich über die Schulter. Entschuldigungen murmelnd, drücken sie sich seitlich durch eine Gruppe aufgeregter Italiener, eine große Familie, die eng aneinandergedrängt auf Zehenspitzen stehen, um einen ankommenden Verwandten zu begrüßen.
»Okay! Langsamer!«, befahl Starr über die Sprechanlage. »Jetzt ist gleich die Kacke am Dampfen.«
Der Projektor reduziert seine Geschwindigkeit auf ein Viertel.
Von einem flackernden Bild zum nächsten bewegen sich die jungen Männer, als wäre die Luft aus Gelatine. Als sich der Erste umdreht, um jemandem in der wartenden Schlange zuzulächeln, wirkt die Bewegung wie ein Ballett bei Mondschwerkraft. Der Zweite blickt über die Menge hinweg. Sein nonchalantes Lächeln gefriert. Er öffnet den Mund und stößt einen lautlosen Schrei aus, während aus seinem Khakihemd Blut herausschießt. Bevor er in die Knie brechen kann, reißt ihm ein zweiter Schuss die Wange fort. Die Kamera schwankt wie verrückt, ehe sie den anderen jungen Mann einfängt, der den Rucksack fallen gelassen hat und in albtraumhaftem Zeitlupentempo auf die Schließfächer zuläuft. Als ihn ein Schuss in die Schulter trifft, vollführt er in der Luft eine Pirouette. Graziös sinkt er gegen die Schließfächer und prallt wieder ab. Seine Hüfte speit Blut, und er rutscht seitwärts auf den blankgescheuerten Granitboden. Eine dritte Kugel reißt ihm den Hinterkopf weg.
Die Kamera schwenkt über die Flughafenhalle, sucht, verliert und findet von neuem zwei – verschwommen erkennbare – Männer, die auf die Glastüren am Eingang zurennen. Das Bild wird scharf und zeigt, dass es sich um Asiaten handelt. Einer trägt eine automatische Waffe. Plötzlich krümmt er den Rücken, wirft die Arme empor und rutscht sekundenlang auf den Zehenspitzen vorwärts, bis er vornüber aufs Gesicht schlägt. Die Waffe fällt lautlos neben ihm zu Boden. Der zweite Mann hat die Glastüren erreicht, deren milchiges Licht seine dunkle Silhouette wie ein Heiligenschein umgibt. Er duckt sich, als eine Kugel das Glas neben seinem Kopf zerschlägt; er wirft sich herum und läuft auf einen offenen Fahrstuhl zu, aus dem eine Schar Kinder strömt. Ein kleines Mädchen sinkt in sich zusammen; ihr Haar weht, als wäre sie unter Wasser. Eine verirrte Kugel hat sie in den Magen getroffen. Der nächste Schuss trifft den Asiaten zwischen den Schulterblättern und wirft ihn langsam gegen die Wand neben dem Lift. Ein schmerzliches Lächeln auf den Lippen, greift er sich mit der Hand an den Rücken, als wolle er die Kugel herausholen. Die nächste durchschlägt seinen Handteller und dringt ihm ins Rückgrat. Er rutscht an der Wand herab und fällt mit dem Kopf in die Fahrstuhlkabine. Die Tür schließt sich, geht aber wieder auf, weil sein Kopf den Mechanismus behindert. Sie schließt sich, geht wieder auf. Schließt sich, geht auf. Ein langer Schwenk durch die Halle. Von oben.
… Eine Gruppe entsetzter, verstörter Kinder umringt das getroffene Mädchen. Ein kleiner Junge schreit lautlos …
… Zwei Flughafenpolizisten, ihre kleinen italienischen Pistolen im Anschlag, laufen auf die am Boden liegenden Asiaten zu. Einer von ihnen schießt noch …
… Der alte Herr mit dem schneeweißen Spitzbart sitzt benommen in einer Blutlache, die Beine ausgestreckt wie ein Kind, das im Sandkasten spielt. Seine Miene drückt fassungsloses Staunen aus. Er war überzeugt, den Zollbeamten alles genau erklärt zu haben …
… Einer der jungen Männer liegt auf seiner zerfetzten Wange, den Rucksack noch am Riemen über der Schulter …
… Die Gruppe Italiener, die ihren Verwandten erwartet, vollführt ein getragenes Menuett grotesker Stellungen. Drei von ihnen liegen am Boden. Andere jammern, manche knien, und ein Junge dreht sich auf dem Absatz immer wieder rundherum, sucht eine Richtung, in die er fliehen
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