Satt Sauber Sicher
allerlei Betäubungskram, legal, illegal, scheißegal. Jetzt fährt sie mit dem Fahrrad in Richtungen, wo keiner wohnt. Regelstudenten haben regelmäßig ihre Menstruation, so auch Sonja, der ihr Frausein, ihr kleines, unbedeutendes Denkerinnendasein schon wieder massiv auf den Sender geht. Der Sender nämlich, der eigentlich empfangen sollte. Sonja studiert ihr Leben, lernt ihre Gehirngeschwindigkeiten einschätzen. Ist eher slow als easy. Ist eher anders als verschissen angepasst. Sonja ist Sonja mag Sonja nicht und es wird Sommer und da wartet doch ein Leben. In den Löchern ihrer Existenz. Durchaus positiv zu beurteilen. Wieder stört ein Gehirn. Das eigene. Die Befindlichkeit geht in den Keller, gucken, was noch in der Gefriertruhe der Emotionalität ruht. Nur sentimentale Schnitzel für extrovertierte Befindlichkeitsvege- tarier. Studieren ist doch irgendwie gut, denkt Sonja, da vergeht die Zeit und das Gehirn wird im Idealfall ein wenig aktiviert und eventuell in Richtungen gelenkt, die Sonja von Sonja ablenken.
Sonst ist sie noch täglich in dieser verruchten und schimmeligen Bar tätig. Diese Bar, in der sich Menschen wegen des Alkohols und Restelebens besinnungslos machen. Was für ein Scheißjob. Sie erinnert sich an das Mitverfolgenkönnen des Kennenlernens eines lesbischen Paares, das später am Abend sich den Kopf leer küssend und schwer fummelnd auf ihrem Tresen lag. Und sie, die Sonja, fand an diesem Abend mal wieder alles so richtig scheiße. Schwermutempfindungen beim Erleben einiger eigener Scheiße und der Präsentation fremden, unbegreiflichen Glücks sind schon mal möglich. Menschenbeobachten macht auf Dauer doch auch keinen Sinn, wenn man selbst vergisst, wie es sich anfühlt ein Mensch zu sein.
Es sind diese Tage voller Licht, voller Wärme, voller Frühjahrsfreude, die Sonja manchmal fertig machen, weil sie mit so viel Glück auf einmal einfach nicht umgehen kann. Sie ist Literaturstudentin und singt dann laut beim Fahrradfahren: "I'll shit on you and your fucking life ... fuck that shit, fuck that shit. Fuck! That! Shit!" Und könnte sie ihr Leben von außen betrachten, dann würde sie wahrscheinlich auf ihre neuen, weißen Adidasschuhe kotzen und sich von dieser Welt wünschen. In ihr ist immer irgendwas aus Metzgereialltag und Grindcorekonzert zugegen. Glücklichsein ist so fremd für sie, so wie indische Gewürze fremd sind. Sie schmecken gut, aber wenn der Magen sie nicht kennt,der gewöhnliche, mitteleuropäische Magen, dann lehnt er sie erst mal ab und kennzeichnet das durch Schmerz oder Druckgefühl. Vielleicht sogar Durchfall.
Vielleicht steht Sonja das Glücklichsein einfach nicht, so wie ihr Baumwollhemden nicht stehen oder Sandalen, denn sie hat keine schönen Füße und Baumwollhemden sehen ja auch an fast jedem doof aus. Sie als Inhaberin eines Hochleistungsabitur und als Nichtvermeiderin reflexiver Denkprozesse findet sich auch gern mal rauchend unter alten Bäumen wieder mit Gedanken wie diesen: "Ich bin nicht glücklich, warum bin ich nicht glücklich? Was ist Glück. Ich bin nicht glücklich, weil ich es dann nur mir gönne und erkenne, wie klein alle sind, die so tun, als ginge es ihnen gut, weil es doch niemandem gut geht, weil das Glücklichsein nur ich genau in diesem Moment verdient habe und dann bin ich lieber ein Schattenmädchen, das leise, in kaum hörbarer Sanftheit flüstert: Wie komme ich hier wieder raus? Raus aus diesem Pseudozustand." Das denkt die Sonja auf der Flucht. Sie ist ständig vor irgendetwas auf der Flucht, deswegen ist ihr Leben manchmal zu schnell.
Sonja ist kompliziert. Deswegen ist sie allein, mag auch das Alleinsein, denn sie hat schon mal herausgefunden, dass es nicht an weiteren Personen liegt, dass das Glück an einem kleben bleibt wie ausgespuckte Kaugummis, auf die man einen Turnschuh setzt. Nein, das Glück ist menschenunabhängig.
Sonja fährt langsam und unentspannt Fahrrad durch den Frühling, singt ihr selbst gemachtes Fuck-that-shit-Lied und die Bäume gleiten langsam vorbei. Baum für Baum ein Monument aus Natürlichkeit. Das ist die Welt, denkt die Sonja, mehr denkt sie nicht mehr, denn da vorne ist die Uni und da ist Denken verboten, weiß Sonja. Also Kopf auf off, besser so. Leicht angedrogt tun, machen alle. An guten Tagen auf stand by und dann in die destruktive Unauffälligkeit eintauchen,die der bildungsverseuchte Campus zu bieten hat. Das ist die Revolte der Jugend, ist sie nicht, könnte sie sein, aber ist sie eben
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