Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)
es gar nicht, die Nase ist nicht mehr, was sie mal war, die konnte ja durchs Fenster eine saftige Muschi draußen auf der Straße riechen … Ich sehe nur, wie andere das Gesicht verziehen, wenn ich ihnen zu nahe komme, aber weil sie mich nicht verletzen wollen, verbergen sie die Grimassen, was noch erniedrigender ist. Ich trage drei Brillen. Drei Brillen auf einem Zinken. Allzu groß ist er ja nicht. Die Augen lassen mich im Stich, die Hand auch. An allem fehlt es mir – nur nicht an Willen.
Eine Zeitlang habe ich mich mit Lithographien beschäftigt, habe Stiere aus dem Gedächtnis gezeichnet … Brugada half mir, stellte einen Stein auf die Staffelei, machte ihn fest, und schon war ich am Kritzeln, kratzte mit dem Rasiermesser, in der anderen Hand eine große Lupe, denn ohne sie sah ich fast nichts – aber zweimal ist der Stein von der Staffelei gefallen, einmal zerquetschte er mir fast den Fuß, zerkratzte mir mit dem Rand sogar die Schuhspitze, das zweite Mal krachte er auf die Erde, als die kleine Rosario nur ein paar Schritte weiter stand. Natürlich war die ganze Arbeit für die Katz. Und das zweite Mal hatte ich eine wunderschöne Szene, fast fertig. Inzwischen lasse ich das. Für große Gemälde habe ich erst recht keine Kraft, aber mein Marienkäferchen ist schon groß genug zum Malen, und ich denke daran, sie zum Unterricht nach Paris zu schicken, habe sogar schon ein paar Briefe geschrieben, vielleicht kann Ferrer sie bei Martín unterbringen, er soll ganz gut sein. Bei ihr ist es nicht schade ums Geld. Immerhin ist sie jemand, den es auszubilden lohnt, nicht wie Javier, diese Flasche, der sich zu nichts aufraffen kann; der liegt nur da wie eine Pflaume, wie ein Stück fettes Fleisch in der Pfanne schmort er im eigenen Saft, hat keine Lust, zu mir zu kommen, seinen dicken Hintern über die Pyrenäen zu schaffen, und ich als alter Mann muss hin- und herfahren wie ein Jungspund, sonst sehe ich meinen hübschen Marianito gar nicht mehr. Als könnte er nicht für eine Weile seine Geschäfte lassen, was sind das schon für Geschäfte, die er hat, und zu seinem alten Vater fahren, der mit einem Fuß im Grab steht. Aber mein Marienkäferchen ist da, für mein Marienkäferchen ist die Zeit nicht zu schade, ich habe ihre Zeichnungen sogar schon in Madrid gezeigt, alle Professoren der Akademie waren entzückt und sagten, sie sei ein kleiner weiblicher Raffael, ein kleiner Mengs im Atlaskleidchen. Mengs ist ein Stümper gegen sie. Ein solches Talent hat die Welt noch nicht gesehen. Wir setzen uns zusammen, ich zeichne ihr etwas auf einem Stück Papier, und sie kopiert es aufmerksam, und mit wieviel Fleiß und Geschick, was für einen schönen Strich sie hat! Noch nicht ganz ausgereift natürlich, aber man spürt das Genie. Goya spürt das Genie. Sie zeichnet, und Leocadia werkelt im Haus herum oder geht in die Stadt, schließlich will eine Frau etwas vom Leben haben, und wir sind in Frankreich, nicht in Spanien, ich werde sie ja nicht in der Wohnung einsperren. Rosario zeichnet, und ich hole aus der Schublade ein Blättchen Elfenbein, Farbe, dünne Pinsel, schaue durch das Vergrößerungsglas und trage zuerst den dunklen Untergrund auf, mit Ruß, den ich aus der Lampe nehme, und dann gieße ich ein paar Tropfen Wasser darauf. Was für Welten, wie viele Gestalten sich da drängen, welche Geister, welche Begierden – Krüppel, Gefangene, dickbäuchige Zwerge, alte Hexen; ich schaue durch meine Lupe und komme aus dem Staunen nicht heraus, wieviel auf so einer kleinen Platte geschehen kann, wenn das Wasser den Ruß auflöst. Und dann, ratz-fatz, mache ich mich ans Malen. Wenn es nichts wird, und es wird immer häufiger nichts, kratze ich es ohne Bedauern wieder ab, denn ich weiß, das Wasser löst das Schwarz auf, ganz im Einklang mit dem Strom meiner Gedanken, und wird gleich etwas noch Besseres zeitigen. Etwas noch Schmerzhafteres.
Mit Javier saß ich auch so da wie mit meinem Marienkäferchen – ich dachte mir, wenn mein Papa, ein einfacher Vergolder, einen Maler wie mich gezeugt hat, was wird dann erst mein Sohn vollbringen! Das dachte ich von ihnen allen, der Reihe nach: von Antonio, von Eusebio, von Vincente und Francisco, und alle starben sie, kaum einer lebte lange genug, um einen Bleistift halten zu können, geschweige denn, die Welt mit seinem Talent in Erstaunen zu versetzen; auch mit Javier hing es manchmal an einem Haar, mit knapper Not ist er davongekommen – wie damals, als er die Pocken hatte und
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