Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi
gehabt hatten, wieder in Kontakt gekommen. Nach der Aufklärung des Falls, an der Valerie insofern beteiligt gewesen war, als sie zuerst entscheidende Informationen aus Trotz zurückgehalten und sie dann endlich doch rausgerückt hatte, hatte Streiff sie zum Essen eingeladen, sich in Schale geworfen und ihr Blumen mitgebracht. Nachdem er sie ein paar Wochen mit einer Mischung aus Ernsthaftigkeit, selbstironischen Kommentaren und sparsam dosierten Anzüglichkeiten umworben hatte, hatte Valerie ihm nachgegeben. Seither waren sie ein Paar.
»Im Ernst«, fragte Beat, »wie kommt die Frau dazu, einen solch hirnrissigen Vorstoß zu machen? Du kennst sie doch. Was bezweckt sie bloß damit?«
Valerie kannte Angela Legler schon seit Jahren. Sie hatte sie als unverschämte Kundin im Laden gehabt und sie nach einer lautstarken Szene hinausgeschmissen. Seit einiger Zeit saßen sie sich regelmäßig an den Sitzungen der Arbeitsgruppe Kantonales Velowegkonzept, kurz AG KVK, gegenüber. Legler, Mitglied der Verkehrs- und Umweltkommission des Kantonsrates und selbst überzeugte Radfahrerin, hatte die AG KVK initiiert, um ein Radwegnetz für den ganzen Kanton Zürich auszuarbeiten. Neben Kantonsräten und Verwaltungsvertretern waren auch externe Experten in der Kommission. Unter anderem die Fahrradhändlerin Valerie Gut. Wie sie zu dieser Ehre gekommen war, war ihr nicht ganz klar. Ganz sicher war es nicht Leglers Vorschlag gewesen. Vermutlich hatte diese widerstrebend zugestimmt, weil ihr kein guter Vorwand eingefallen war, Valeries Mitwirkung zu verhindern, und weil sie keine schlafenden Hunde wecken wollte.
»Ich vermute, sie will sich einfach profilieren, sich in die Medien bringen«, meinte Valerie. »Sie ist ehrgeizig und der Typ, der polarisiert. Da sie in einer Mitte-Partei ist, muss sie Gegensteuer geben, auffallen. Aber sie macht es so, dass niemand schlau wird aus ihr und sie es sich am Schluss mit allen verdirbt. Mit ihrem Engagement für das Velowegkonzept kann sie bei den Grünen und den Linken punkten. Mit der Kampfansage an den Flohmi will sie bei den Rechten Stimmen holen. Unabhängig politisieren, nennt sie das. Aber ich glaube, unter dem Strich macht sie sich vor allem unbeliebt. Nur merkt sie das nicht, dafür ist sie viel zu sehr von sich selbst überzeugt.«
Valerie zuckte die Schultern und schob sich den Rest ihres Toasts in den Mund. Dann spekulierte sie: »Vielleicht will Angela mit der Schließung des Flohmarkts quasi ihren Sündenfall aus der Welt schaffen. Das wäre die psychologische Erklärung.«
»Das tönt eher biblisch«, meinte Beat.
»Würde auch passen«, gab Valerie zu. »Fritz Legler, ihr Mann, ist ja Pfarrer. Bisschen hardcore.«
»Hardcore?«, fragte Beat verständnislos.
»Na ja, ein Fundi. Evangelikal. Streng moralisch, aber auch schwärmerisch. Würde man auf den ersten Blick gar nicht denken. Er versucht ja, die Jungen zu gewinnen mit seinen Velogottesdiensten in freier Natur. Kleine Radtour aufs Land, dort Predigt, Gesänge und Gebete. Nachher Picknick. Aber die Predigten haben es in sich, hab ich gehört. Aufrufe zu Reue und Buße. Keine Ahnung, was Angela an dem findet.«
»Ist mir auch egal«, brummte Beat. Er hatte eine kleine geheime Privatfehde mit der Politikerin. Er nahm es ihr übel, aber das sagte er Valerie natürlich nicht, dass sie dazu beigetragen hatte, dass der Mutterschaftsurlaub für Kantonsangestellte verlängert worden war. Das bedeutete nämlich, dass er länger auf seine Mitarbeiterin Zita Elmer verzichten musste, die vor drei Monaten ein Baby bekommen hatte. Man hatte ihm zwar einen Ersatz angeboten, aber Streiff konnte mit dem übereifrigen, ungeschickten jungen Schnösel, Melchior Zwicky hieß er, nicht viel anfangen. Er vermisste die robuste, gescheite Elmer. Ob sie wirklich so gescheit war?, zweifelte Streiff manchmal schlecht gelaunt, wenn ihm die Arbeit wieder mal über den Kopf wuchs. Warum hatte sie sich dann ein Baby zulegen müssen? War doch gar nicht der Typ dafür. Na ja, vermutlich die Hormone. Er war froh, dass sich diese Frage bei Valerie und ihm nicht stellte; sie war 48, er bald 52.
Dafür stellte sich ihm ab und zu eine andere Frage. Seit vier Jahren waren Valerie und er jetzt zusammen, beide hatten sie ihre Wohnung behalten, mal waren sie bei ihm, mal bei ihr. Valerie schien mit der Situation zufrieden zu sein, sie hatte das Thema nie angeschnitten. Er auch nicht. Aber manchmal dachte er, ob es nicht vielleicht auch ganz schön wäre
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