Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saubere Verhältnisse

Saubere Verhältnisse

Titel: Saubere Verhältnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
Vom Netzwerk:
Maschinerie knirschte. Na ja, so war das eben, wenn man so lange gefehlt hatte.
    Während der Morgenrunde spürte sie es noch deutlicher: das unangenehme und traumartige Gefühl, nicht zu verstehen, wovon die anderen redeten. War ich so lange weg, dachte sie.
    Aber sie ließ sich nichts anmerken – auch das eine ihrer vielen Fertigkeiten. Sie hörte aufmerksam zu, nickte hin und wieder nachdenklich, machte sich eine Notiz auf ihrem Block, zog die Stirn zu einer skeptischen Falte zusammen, und manchmal erlaubte sie sich ein Lächeln, belustigt und nachsichtig. Und dabei versuchte sie die ganze Zeit zu begreifen, worum es eigentlich ging. Ein Seminar für Kleinunternehmen, ganz offensichtlich. In einem Hotel in der Stadt. Und sie sollte durchs Programm führen. Na ja, dachte Yvonne wieder. Das wird schon gehen.
    Und als sie zwei Wochen später auf der Bühne des Konferenzraumes stand, in ihrem graphitgrauen Kostüm und der roten Bluse, deren Kragenenden auf dem Blazer ruhten wie zwei Herbstblätter auf einem Felsen, lief es tatsächlich ausgezeichnet. Ihre Stimme war entspannt selbstsicher, ihre Überleitungen zwischen den einzelnen Programmpunkten waren ernst und trotzdem humorvoll.
    »Ein Seminar im Zeichen der Zeit« war der Titel, und als hätte sie ein unsichtbares, aber starkes Netz über die Referenten geworfen, gelang es ihr, sie alle unter dem Thema zu versammeln und miteinander zu verknüpfen, so daß sie hinterher ganz erstaunt über sich und die anderen waren.
    Auch das Publikum war beeindruckt, und jeder glaubte, ein Muster erkennen zu können, eine Erklärung für sein chaotisches Leben bekommen zu haben. Alle verließen das Seminar mit dem euphorischen Gefühl, plötzlich ungeheure intellektuelle Fähigkeiten zu besitzen, und mit einer diffusen, beinahe religiösen Ahnung, etwas Wichtigem auf der Spur zu sein.
    Schon draußen auf der Straße würde diese Erkenntnis sich verflüchtigen, das wußte Yvonne, das Muster sich auflösen, und wenn sie am nächsten Tag das Ganze ihren Kollegen erklären wollten, würden sie sich nur noch vage daran erinnern. Aber das Gefühl wäre noch da und »Deine Zeit« bekäme so jede Menge gratis Werbung, weil sie alle sagen würden, daß sie auf einem phantastischen Seminar waren, das sie als Menschen verändert habe.
    Sie wußten nicht, daß das alles Yvonnes Verdienst war, aber sie wußte es.
    Menschen in einer Gruppe auf diese Weise zu beeinflussen war ein weiteres Talent. Vielleicht das größte, dachte Yvonne, als sie zwischen den intensiv redenden Seminarteilnehmern stand, sie hatten sich in einem Raum des Hotels versammelt, um den Tag bei einem Glas Wein und einem belegten Brötchen ausklingen zu lassen. Lotta glitt vorbei, neben ihr ging ein eifriger Mann mit einem gepflegten Bart. Sie nickte aufmerksam, warf jedoch Yvonne einen Blick aus dem Augenwinkel zu, verzog den Mundwinkel zu einer zufriedenen Grimasse und streckte diskret den Daumen nach oben. Yvonne nickte zum Dank. Doch, sie hatte es gut gemacht. Sie kannte ihren Job.
    Zehn Minuten später ging sie von der Damentoilette durch das Restaurant des Hotels, wo eine andere Gruppe ein informelles Treffen hatte. Die Beleuchtung war schwach und intim, und erst als er fast vor ihr stand, erkannte sie ihn.
    Eine Hand in der Hosentasche, in der anderen ein Whiskyglas, sprach Bernhard Ekberg mit zwei Frauen. Er sah entspannt und gut gelaunt aus. Er gestikulierte geschickt mit dem Glas, ohne etwas zu verschütten, und die Frauen lachten über etwas, was er gesagt hatte.
    Plötzlich drehte er den Kopf in Yvonnes Richtung und hielt inne. Er hatte sie gesehen!
    Ja. Aber der Blick, mit dem er sie angesehen hatte, war der bewundernde Blick eines leicht betrunkenen Mannes, der eine schöne Frau sieht. Nicht die Spur eines Wiedererkennens.
    Sie beachtete ihn nicht und glitt vorbei, als ob er Luft wäre.
    Als sie zu dem Raum kam, wo ihre Gesellschaft sich aufhielt, überlegte sie es sich anders und ging langsam zurück ins Restaurant. Im Schutz der Bar und der Menschen beobachtete sie ihn von weitem.
    Sie hatte ihn noch nie in dieser Rolle gesehen. Sie unterschied sich deutlich von der, die sie kannte. Vielleicht nicht ganz so stark, wie Yvonne sich von Nora unterschied, aber fast.
    Genau wie sie hat er also einen Ort, wo er selbstsicher, geschätzt und respektiert ist, dachte sie. Im Berufsleben war er offensichtlich kein tragischer Versager. Bei der Gesellschaft handelte sich um Bankleute, das entnahm sie den

Weitere Kostenlose Bücher