Saubere Verhältnisse
Gesprächsfetzen, die sie aufschnappte. Es war ein festlicher Anlaß, der Bernhard und seine Kollegen zusammengebracht hatte.
Und gerade als sie das dachte, drehte sich die Frau, mit der er gesprochen hatte, einem anderen Mann zu, der gerade gekommen war. Bernhard wandte sich an die andere Frau, die inzwischen ein Gespräch mit jemand anders begonnen hatte. Und dann stand er allein da, mitten im Satz unterbrochen, der Mund war halb offen auf diese kindliche Art, die Yvonne so gut kannte.
Jetzt müßte er, nachdem er in den letzten zehn Minuten als gewandter Gesellschaftsmensch aufgetreten war, sich jemand anderem zuwenden – er kannte offenbar die meisten Anwesenden – oder sich aus dem Gewimmel zurückziehen und seinen Whisky trinken, an dem er bisher nur genippt hatte. Statt dessen blieb er einfach stehen, mit einem hilflosen Ausdruck in seinen aufgesperrten braunen Augen und sah verwirrt, ja geradezu angstvoll aus. Wie ein Kind, das man in einer Volksmenge allein gelassen hat.
Mit größter Mühe gelang es Yvonne, ihren Impuls zu zügeln und nicht zu ihm zu gehen und ihn in den Arm zu nehmen.
Rasch verließ sie den Raum und ging wieder zu ihrer Gesellschaft.
III
D IE R ÜCKSEITE DES V ORORTS
22
Der Frühling war in den Vorort gekommen. Die Obstbäume und die Forsythien blühten. In den Beeten verabschiedeten sich die Osterglocken, und die Tulpen öffneten ihre rußigen Kelche.
Bernhard Ekberg saß am Eßtisch und versuchte zu arbeiten. Das Fenster zum Garten stand offen, und in der Diele brummte seine Putzfrau Nora Brick mit dem Staubsauger herum.
Sie war zu ihm zurückgekommen!
Nach drei langen Monaten war sie endlich wieder da. Diese wunderbare, gutherzige, geheimnisvolle Frau, die nicht im Telefonbuch stand und deren Namen auch die Auskunft nicht kannte. Was hätte er tun können, als zu warten und zu hoffen? Als die Zeit verging und sie nicht mehr auftauchte, hatte er geglaubt, sie sei tot. Wie ernst war ihre Krankheit gewesen? Vierzig Grad Fieber hatte sie am Telefon gesagt. Er war außer sich gewesen vor Sorgen, wenn er daran dachte, daß sie allein in ihrer kleinen Vorortwohnung lag, schwerkrank – vielleicht sogar tot – und niemand etwas wußte.
Seine ordentliche, pflichtbewußte Nora, die so pünktlich montags und donnerstags gekommen war – sie würde nicht einfach so verschwinden, wenn nicht etwas Ernsthaftes sie hindern würde.
Er spürte, daß sie ihm die Kraft gegeben hatte, zur Arbeit zu gehen, daß er funktionierte, wenn auch nur oberflächlich. Sein Inneres war zerstört, und das seit langem, vielleicht sein ganzes Leben lang. Aber bei Nora hatte er eine heilende, gute Kraft verspürt. Und als diese Kraft von ihm genommen wurde, war er zusammengesunken, es wurde täglich schlimmer, und schließlich ging er nicht mehr zur Arbeit, sondern blieb auf dem Sofa im Fernsehzimmer liegen.
Erst sah er fern und trank. Dann konnte er nicht mehr fernsehen, nicht mehr essen und zum Schluß nicht mal mehr trinken. Er lag nur noch auf seinem Sofa, die Vorhänge hatte er zugezogen, tagein, tagaus, in seine Wolldecke gewickelt, schmutzig und ungepflegt jaulte er wie ein Tier: »Nora! Nora!« Und sie muß ihn gehört haben. Denn plötzlich, eines Tages, stand sie da, mit ihrem schönen, ungeschminkten Gesicht und ihrem zerknitterten Mantel. Sie zog den Vorhang auf, die Sonne schien herein und glänzte in ihrem Haar, das anders war, irgendwie kraftvoller, und ihren Kopf warm glühen ließ. Ja, stand nicht geradezu ein Heiligenschein um ihre braunroten Locken? Oder waren seine Augen nur die Sonne nicht mehr gewohnt nach dieser langen Zeit hinter verschlossenen Vorhängen? Geblendet hielt er die Hand über die Augen und flüsterte:
»Bist du mein Schutzengel?«
Sie hatte gelacht, das Fenster weit aufgemacht und zu ihm gesagt, er solle auf der Stelle duschen gehen.
Als er aus dem Bad kam, hatte sie den Mantel ausgezogen und sich aufs Sofa gesetzt und auf ihn gewartet, sie trug ein Sommerkleid mit kleinen weißen Blumen auf blauem Grund. Er schob die Wolldecke weg, setzte sich neben sie und nahm ihre Hand in seine, voll demütiger Dankbarkeit. Sie zog die Hand weg, aber nur um sie auf seine Wange zu legen. Er roch ihren Duft, eine einfache, aber gute Seife, und im nächsten Moment hatte die Kraft ihrer Güte ihn erreicht, in ihrer stärksten, konzentriertesten Form, er war ihr entgegengeschleudert und auf sie gedrückt worden, als ob ein mächtiges Energiefeld ihn aufgesogen hätte.
Warum war sie
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