Saubere Verhältnisse
sie sich auf dem schmalen Fernsehsofa mit der Wolldecke über den nackten Körpern, zugezogenen Vorhängen und sorgfältig geschlossener Tür, wie zwei Teenager, die etwas Verbotenes in einem unaufgeräumten Jungenzimmer machten.
Sie genossen einander, aber sie gaben sich nie hin. Ständig warfen sie wachsame Blicke auf die geschlossene Tür, die Ohren lauschten auf bremsende Autos, Schlüsselgeräusche und Schritte auf der Treppe.
Und obwohl sie nur das Brummen der Waschmaschine und den Gesang der Amsel aus dem Garten hörte und obwohl sie wußte, daß Helena viele Kilometer weit entfernt und hinter Schloß und Riegel war, konnte Yvonne sich doch nicht von dem unangenehmen Gefühl freimachen, daß sie beobachtet wurden. Mein schlechtes Gewissen, dachte sie. Das beobachtet mich.
Aber warum sollte sie ein schlechtes Gewissen haben? Waren sie nicht alle gleich? Sie war untreu. Bernhard war untreu. Jörgen war untreu. Und Helena war eine Mörderin.
Wer will denn hier den ersten Stein werfen? dachte Yvonne.
23
Yvonne saß bequem zurückgelehnt in einem Liegestuhl in Bernhard Ekbergs Garten, das Kleid hatte sie hochgeschoben, damit die Beine etwas von der milden, angenehm warmen Nachmittagssonne abbekamen.
Sie war mit der Arbeit fertig und hatte es nicht eilig, nach Hause zu kommen. Simon hatte am Tag zuvor den letzten Schultag gehabt, und seine Sommerferien damit begonnen, zusammen mit einem Freund aufs Land zu fahren. Yvonne hatte ihn mit seinem Gepäck am Morgen zum Freund gebracht, er würde vier Tage wegbleiben.
Bernhard war wieder krank geschrieben. Er schien wieder in den depressiven, passiven Zustand geglitten zu sein, in dem sie ihn bei ihrer Rückkehr vorgefunden hatte. Er verbrachte viel Zeit vor dem Fernseher. Manchmal schlurfte er zum japanischen Garten, harkte pflichtschuldig den Kies und saß dann zusammengesunken und unbeweglich auf der Bank, starrte auf die weiße, wellengemusterte Fläche und die senkrecht stehenden Steine. Wenn sie fragte, warum er da saß, antwortete er, Steingärten würde die Kraft zugesprochen, die Seele zu heilen. Das Unterbewußtsein nimmt etwas auf, was das Auge nicht sehen kann.
Als sie ihn einmal auf der Bank gefunden hatte, hatte sie sich neben ihn gesetzt und seine Hand genommen. Aber sie weigerte sich, mit ihm vor dem Fernseher zu sitzen und mit ihm zusammen die idiotischen Sendungen anzuschauen. Da hielt sie sich lieber im Garten auf, der jetzt grün war und blühte. Da Rasenschneiden wohl kaum zu den Aufgaben einer Putzfrau gehörte und Bernhard sich nicht dafür zu interessieren schien, war aus dem Rasen eine hübsche kleine Wiese geworden.
Yvonne sah sich um und staunte, wie schnell das Chaos um sich griff, wenn man nicht schnitt und jätete. Schließlich war es erst der dritte Sommer, in dem der Garten nicht gepflegt wurde.
Aber dieses kleine Stück halb wilde und halb gezähmte Kulturlandschaft hatte auch etwas. Die Tannenhecke zum Nachbarn war so hoch und so dicht, daß man nichts sah, und da die Süd- und die Westseite des Gartens in den Wald übergingen, hatte man nicht das Gefühl, daß Ekbergs Garten im Vorort lag. Er schien vielmehr irgendwo weit weg am Wald zu liegen, fern jeglicher Bebauung und Zivilisation.
Ein plötzlicher Lichtreflex erschreckte sie. Als sie die Augen wieder öffnete, war er wieder da, nicht mehr so intensiv, daß er sie blendete, aber zu stark und zu grell, um eine natürliche Ursache zu haben. Was war das?
Der Lichtreflex schien vom Steingarten zu kommen.
Da war es wieder, zwischen dem Gebüsch aus Miscantusgras und Bambus.
Sie nahm an, daß Bernhard dort war und einen glänzenden Gegenstand aufgehoben hatte, der das Licht reflektierte. Aber sie hatte ihn gerade noch oben im Fernsehzimmer gesehen. War er so leise an ihrem Liegestuhl vorbeigegangen, daß sie ihn nicht gehört hatte?
Yvonne stand auf und ging über die Trittsteine. Sie ging um das Bambusgebüsch herum und fand den Steingarten leer. Sie schaute sich um, sah jedoch keinen glänzenden Gegenstand oder eine Lichtquelle, die das blitzende Lichtglitzern hätte erklären können.
Als sie zurückgehen wollte, bemerkte sie, daß ein Teil des Wellenmusters im Kies verwischt und zerstört war. Bernhard bewegte sich immer sehr vorsichtig, wenn er harkte – er ging immer rückwärts, damit er sein Werk nicht zertrampelte – und wenn er fertig war, betrat er den Kies nicht mehr. Er konnte also nicht über den Kies gegangen sein. Aber jemand muß es gewesen sein. Ein
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