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Saubere Verhältnisse

Saubere Verhältnisse

Titel: Saubere Verhältnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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Straße heißt. Ich kenne keine Straßen, ich halte mich in den Gärten auf.«
    »Mit einem Fernglas?«
    »Ja.«
    »Das ist geschummelt.«
    Er hob die Arme zu einer entschuldigenden Geste.
    »Es ist effektiv. Wenn man schon mal dem Laster des Beobachtens verfallen ist, warum sich nicht der technischen Mittel bedienen?«
    »Warum beobachten Sie?« fragte sie.
    »Es ist ein Hobby. Manche beobachten Vögel, ich beobachte Menschen. Ich verstehe nicht, warum nicht mehr Leute das tun. Menschen sind erheblich interessanter als Vögel.«
    Yvonne schluckte und betrachtete ihre nackten Füße, die zur Hälfte im Teppich aus verwelkten Blättern versunken waren.
    »Wann haben Sie mit dem Hobby angefangen?«
    »Letzten Herbst. Ich war bei einem Freund, der hier im Vorort wohnt, und habe ihm mit seinem Computer geholfen. Ich arbeite als Computertechniker, und Sie können sich denken, wie man von Freunden und Bekannten ausgenützt wird. Man wird zum Essen eingeladen, und wie zufällig erzählen sie, daß ihr Computer in der letzten Zeit Zicken macht und ob ich nicht mal schauen könnte, wenn ich schon da bin. Als ich fertig war mit dem Computer, war es ziemlich spät und auf dem Weg zum Bus sah ich in einem Garten einen Pflaumenbaum mit großen blauen Pflaumen. Ich erinnerte mich an die Zeit, als ich so zehn, elf Jahre alt war und wie wir Obst gemopst haben. Und dann sprang ich über die Hecke und schlich in den Garten und aß Pflaumen.«
    »Einfach so, völlig ungeniert?«
    »Ja. ich kann mich nicht erinnern, daß ich mich geschämt hätte. Es hat einfach Spaß gemacht. Und dann dachte ich, ich könnte durch die Gärten den Weg zur Bushaltestelle abkürzen. Ich war gespannt, ob man so vorankam oder ob Mauern und Zäune im Weg waren.«
    »Und?«
    Sie war aus dem Wald getreten und hatte sich auf die Bank am Steinteich gesetzt. Der Mann hatte sie neugierig gemacht.
    »Es ging ausgezeichnet. Es gab vor allem lichte Hecken und niedrige Zäune. Ich mußte natürlich schleichen, damit niemand mich sah. Aber es war dunkel, und deshalb ging es gut. Und es war so … ja, so spannend. Ich hatte keinen solchen Spaß mehr gehabt, seit ich ein kleiner Junge gewesen war. Und ich dachte: Kommt selten vor heutzutage, daß man solchen Spaß hat. Was macht eigentlich Spaß? Die Arbeit? Nicht mehr, obwohl ich sie früher sehr mochte. Familie? Habe ich mir nicht zugelegt. Freizeitaktivitäten? Ich habe alle möglichen Sportarten ausprobiert: Handball, Basketball, Klettern, Surfen, alles mögliche. Ich habe dauernd die Sportart gewechselt, weil mir so schnell langweilig wurde. Ich fand auf einmal alles öde. Es war irgendwie alles das gleiche.«
    »Und dann haben Sie angefangen, durch Gärten zu schleichen?«
    »Ja, es hat mir einen Kick gegeben. Ich habe letzten Herbst angefangen. Dann habe ich aufgehört, als es zu kalt wurde. Aber jetzt ist wieder Saison.«
    Sie betrachtete den Mann, der sich inzwischen gesetzt hatte, nicht neben sie auf die Bank, sondern zu ihren Füßen auf die flachen Steine, die den Teich wie eine Art Strand umgaben. Er hatte seine langen Beine im Schneidersitz gefaltet, seine Bewegungen hatten etwas Eifriges, fast Ungeduldiges.
    Sie hatte zuerst gedacht – vielleicht wegen seiner Kleidung –, er sei ein junger Mann, Anfang zwanzig vielleicht. Jetzt sah sie, daß er mindestens dreißig war. Vielleicht schon fünfunddreißig.
    »Ich wollte wissen, wie weit man kommt, ohne die Straße zu betreten. In den kleineren Quadraten kommt man schnell an eine Grenze, aber hier oben am Wald gibt es viele zusammenhängende Gärten mit kleinen Sackgassen, die zu den hinteren Häusern führen. Wenn man den richtigen Weg durch die Gärten am Wald findet, kann man fast einen Kilometer gehen, ohne seinen Fuß auf Asphalt zu setzen.«
    Er hatte das mit großen, leuchtenden Augen gesagt und schien zu erwarten, daß Yvonne beeindruckt war.
    »Unglaublich«, murmelte sie.
    »Aber es gibt natürlich auch schwierige Durchgänge. An einer Stelle ist der Höhenunterschied vier Meter, da ist eine Mauer zwischen zwei Gärten.«
    »Und was machen Sie da?«
    »Es gibt Spalten. Ich bin doch früher geklettert.«
    »Ah ja, Und das Beobachten? Wann haben Sie damit angefangen?«
    »Am Anfang ging es hauptsächlich darum, nicht gesehen zu werden. Sich unsichtbar zu machen. Und dann stellte ich fest, daß man gut in die Häuser schauen kann, wenn es draußen dunkel ist und die Leute Licht anhaben. Das war irgendwie der nächste Schritt. Man muß schließlich die

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