Saubere Verhältnisse
Sorgerecht für die Kinder verlangen würde. Und sie fand das auch richtig. Obwohl er soviel arbeitete, machte er auch noch den Großteil der Hausarbeit, und die Kinder fühlten sich bei ihm geborgen. Karina war schlampig, faul und gedankenlos. Sie war für die Kinder mehr große Schwester als Mutter. Aber sie liebte sie und wollte sie nicht verlassen.«
»So eine Beziehung kann man doch nicht ewig geheimhalten, oder?« sagte Yvonne.
»Natürlich nicht. Ihr Mann bekam es heraus, und Karina machte ernstlich Schluß. Sie wollte mich nicht mehr treffen und antwortete nicht auf Briefe oder Anrufe. Als mir klar war, daß es dieses Mal wirklich ernst war, wollte ich mir das Leben nehmen.«
»Wie denn?«
»Ich habe mich betrunken und bin von einem Viadukt auf eine große Straße gesprungen. Ich war überzeugt, daß ich sterben würde, wenn schon nicht vom Sturz, dann wenigstens durch ein Auto, das mich mit höchster Wahrscheinlichkeit überfahren würde. Es war Winter und dunkel und glatt.
Aber merkwürdigerweise überlebte ich den Sturz aus großer Höhe, und der Autofahrer, der kam, sah mich und konnte bremsen. Mit verletztem Rückgrat, Gehirnerschütterung und diversen Knochenbrüchen wurde ich ins Krankenhaus gefahren, wo ich fünf Monate bleiben mußte.«
»Das war also der ›Unfall‹, von dem du das hast«, sagte Yvonne.
Sie beugte sich vor und strich mit der Hand über die Narbe auf seinem nackten Rücken.
»Ja, ich bin mehrmals operiert worden, und es war nicht selbstverständlich, daß ich wieder würde laufen können. Im Krankenhaus hatte ich Kontakt mit jeder Menge Spezialisten, die alle versuchten, mich aufzumuntern und meine Kampfkraft zu stärken: Ärzte, Krankengymnastinnen und Psychologen. Ich habe ihr Spiel mitgespielt. Aber insgeheim war ich fest entschlossen, meinen Versuch zu wiederholen. Denn wenn es mir auch nicht gelungen war, mir das Leben zu nehmen, so war ich doch seelisch tot. Erst eine der Krankenschwestern hat mich auf andere Gedanken gebracht.«
Yvonne ahnte, wen er meinte.
»Ihre geschickten, sanften Hände, ihre freundliche, aber bestimmte Stimme und ihr fester blauer Blick bedeuteten tausendmal mehr für mich als die Klischees der Psychologen und die Wunderbehandlungen der Ärzte. Helena hat mich gesund gemacht. Ich war in einer wüsten Landschaft, ganz allein, und dann stand sie da. So habe ich es in Erinnerung. Daß plötzlich ein anderer Mensch bei mir war.«
Bernhard lehnte sich zurück und schaute befreit zur Decke.
»Ich habe mich in sie verliebt. Nicht so, wie ich in Karina verliebt war. Reiner. Gesünder. Ja, gesund war immer das Wort, an das ich dachte, wenn ich sie sah. Und das betraf sowohl sie, die Gesundheit, die sie ausstrahlte, als auch mich selbst, meine Sehnsucht nach Gesundheit und einem normalen Leben.
Während des Krankenhausaufenthalts haben wir nur über sehr wenige Dinge gesprochen, die mit meiner physischen Gesundheit zusammenhingen. Und doch kamen wir uns sehr nah. Es war in dieser Situation auch unvermeidlich. Ich konnte ja nicht einmal allein auf die Toilette gehen. Sie teilte alles mit mir, und als ich entlassen wurde, war es selbstverständlich, daß wir uns weiter trafen. Ich erfuhr ein bißchen mehr über sie. Sie war aus guter Familie. Sie hatte immer Krankenschwester werden wollen. Schon als kleines Mädchen hat sie mit ihren Puppen Krankenhaus gespielt.«
Bernhard beugte sich vor, sprach schnell, als ob er Angst hätte, unterbrochen zu werden. Aber Yvonne sagte nichts und ließ ihn reden. Sie hatte ihn noch nie so sprechen gehört.
»Helena erzählte mir, ihre Puppen hätten schwach und krank ausgesehen, aber wenn sie sie versorgt und ihnen die Arme verbunden hatte, dann sahen sie gleich viel glücklicher und gesünder aus, fand sie. Sie hatte nicht nur ihre Puppen zum Üben, ihre Mutter war schwer zuckerkrank, sie konnte sich nicht selber versorgen, und so lernte Helena früh alles über Ernährung und Blutzuckerspiegel, sie mußte der Mutter sogar die Insulinspritzen geben. Mit ihren Noten hätte sie ohne weiteres Ärztin werden können, aber das interessierte sie nicht. Sie wollte Krankenschwester werden.
Wir heirateten ziemlich schnell. Wir mieteten eine Wohnung in der Stadt. Ich machte meine Ausbildung, bekam eine Stelle in der Bank, und nach ein paar Jahren haben wir das Haus hier gekauft und das Sommerhäuschen in Åsa.
Es war ein ganz anderes Leben als vor meinem Selbstmordversuch. Ruhig. Durchgeplant. Keine heftigen Wechsel
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