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Saubere Verhältnisse

Saubere Verhältnisse

Titel: Saubere Verhältnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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Hände, aber das mit dem Baden und Duschen vergaß sie meistens, und niemand erinnerte sie daran.
    Manchmal wurde sie schön hergerichtet – vor einer Einladung zum Essen bei der Großmutter, einem Besuch bei Mutters Arzt, Doktor Willenius, oder vor einem Opernbesuch.
    Dann stellte die Mutter sie in die Badewanne, mitten in die Schmutzwäsche, die im kalten Wasser herumschwamm, und machte sie sauber wie einen Gegenstand. Sie schrubbte sie mit einer harten Bürste, und wenn sie das Shampoo aus den Haaren spülte, achtete sie nicht darauf, ob es in die Augen lief. Yvonne bekam frische Kleider, die alten wurden in die Brühe in der Badewanne gelegt – eingeweicht – und warteten auf die große Wäsche, die nie stattfand.
    Bei der Großmutter war es so sauber und aufgeräumt, wie es bei der Mutter schmutzig und unordentlich war. Sie saßen in der guten Stube und aßen. Die Mutter zwitscherte und erzählte von Opernbesuchen und von Yvonnes Fortschritten in der Schule. Die Großmutter muß wenigstens teilweise gewußt haben, wie es ihr ging, aber sie sah nur, was sie sehen wollte.
    Vermutlich war die Mutter schon lange krank, nur hatte das niemand wahrhaben wollen. In ihrer vornehmen Familie sprach man nicht über Angstzustände, Paranoia oder Halluzinationen. Sie heiratete, als sie zwanzig war, und im Jahr darauf bekam sie Yvonne. Während der Schwangerschaft und der Geburt explodierte die Psychose und war nicht mehr zu verschweigen. Die Mutter kam in eine psychiatrische Klinik, die junge Ehe ging in die Brüche, Yvonne wohnte bei der Großmutter und wurde von einem Kindermädchen versorgt. Nach einem Jahr wurde die Mutter entlassen und holte ihre Tochter nach Hause.
    Yvonne konnte sich nicht erinnern, ob ihr Vater jemals bei ihnen gewohnt hatte. Formal waren er und die Mutter verheiratet, bis sie fünf Jahre alt war. In Wirklichkeit hatte er schon bei der Geburtspsychose der Mutter das Weite gesucht, glaubte Yvonne. Sie traf ihn ein paar Mal im Jahr. Er holte sie dann vor der Haustüre ab. Sie gingen zusammen ins Kino, ins Museum, in den Zirkus oder zu anderen Veranstaltungen. Er war sehr höflich und angespannt, und sie hatte immer das Gefühl, daß er, genau wie sie, diese Treffen aus Pflichtgefühl absolvierte.
    Die Mutter hatte bessere und schlechtere Perioden. Der Krankheitszustand kündigte sich langsam und schleichend, mit vielen Anzeichen und Warnungen an, der Wechsel zu einer gesunden Periode hingegen konnte ganz plötzlich, quasi über Nacht kommen. Yvonne fand sie dann am Morgen in der Küche, völlig entsetzt darüber, wie es dort aussah. Yvonne wurde mit einer Einkaufsliste weggeschickt und mußte die Lebensmittel einkaufen, die im Kühlschrank fehlten, während die Mutter spülte und putzte.
    Die Mutter hatte auch eine beinahe unfaßbare Fähigkeit, sich zusammenzunehmen, wenn es nötig war. Am allermeisten nahm sie sich zusammen, wenn sie als Privatpatientin bei ihrem Arzt, Doktor Willenius, war. Yvonne vermutete später, daß er Psychiater war, obwohl das nie ausgesprochen wurde. Die Mutter wollte Yvonne immer dabeihaben, in neuen Kleidern, mit gelockten und gekämmten Haaren. Sie war ein wichtiger Baustein in der Fassade der Mutter: »Seht nur, wie gut ich meine kleine Tochter versorge.«
    Doktor Willenius – ein kettenrauchender alter Kauz mit dem Gesicht eines Bluthundes – hörte der eleganten Konversation der Mutter mit halbgeschlossenen Augen zu, murmelte etwas Unverständliches und verschrieb Medikamente, die sie auf dem Heimweg abholten. Die Medikamente wurden im Badezimmerschrank aufbewahrt, wo die Mutter sie vergaß, bis sie sich plötzlich eines Tages wieder an sie erinnerte, eine Riesendosis einnahm und dann für mehrere Tage außer Gefecht war.
    Das war alles an medizinischer Betreuung. Die Großmutter weigerte sich zuzugeben, daß die Tochter krank war, und Doktor Willenius war nur an seinem Honorar interessiert.
    Später hatte Yvonne sich oft gewünscht, daß die Mutter einmal richtig verrückt geworden wäre, auf der Straße oder in einem Geschäft, daß sie Aufmerksamkeit erregt und von der Polizei aufgegriffen worden wäre. Aber dazu war sie zu schlau. Die Paranoia konnte in ihrem Innern rasen, die Halluzinationen in den Ohren brausen, aber sie richtete sich auf, kniff die Lippen zusammen und lächelte steif.
    Im Fernsehen hatte Yvonne vor kurzem gehört, wie ein Tierarzt berichtete, daß sie immer Probleme mit kranken Vögeln hätten, weil sie so geschickt gesund spielen können.

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