Saubere Verhältnisse
sowohl das Kalb als auch die Kuh starben. Sie erinnerte sich gut an die Stimmung unter den Anwesenden: Es war traurig und schmerzlich, aber völlig natürlich.
Mit Gunnar redete sie über alles. Über die Mutter, das Gemobbtwerden, die Träume vom Theater. Er fand nie etwas komisch. Eines Tages machte er Schluß, auf die gleiche einfache und ehrliche Art, wie er die Beziehung angefangen hatte. Er fand, die Beziehung nahm ihm zuviel Zeit, die er lieber mit Autos zubrachte und für die Kühe brauchte. Yvonne hatte das gleiche Gefühl wie damals beim Kalb: Traurig. Aber natürlich.
Sie studierte Theaterwissenschaft an der Universität und zog in eine Einzimmerwohnung in der Stadt. Nach einem Jahr gründete sie zusammen mit anderen eine freie Theatergruppe. Sie lebten vom Arbeitslosengeld und spielten Kindertheater in Schulen und Kindergärten.
Yvonne wurde von einer etablierteren Gruppe abgeworben, die von einem charismatischen Regisseur geleitet wurde, der einen Namen in der Theaterszene hatte. Es war eine glückliche Zeit in ihrem Leben. Die Gruppe bekam gute Kritiken, die Stadt gab ihnen eine großzügige Unterstützung, und sie hatten viel Publikum.
Die kalte Dusche bekam sie, als sie eines Tages im Zimmer des Regisseurs einen Brief vom Gerichtsvollzieher fand. Unangenehme Erinnerungen kamen in ihr hoch. Die Mutter hatte nie die Rechnungen bezahlt und oft solche bedrohlichen Briefe bekommen. Yvonne sprach mit dem Regisseur, der die Sache auf die leichte Schulter nahm. Wie viele Genies hatte er keine Ahnung von Ökonomie.
Sie durchsuchte heimlich seine Unterlagen und erkannte die Wahrheit hinter der glanzvollen Theatergruppe. Sie spielten wunderbares Theater, standen jedoch am Rande des Abgrunds. Wenn die Stadt erfahren würde, wie schlecht es um sie stand, würden sie nie wieder einen Zuschuß bekommen. Es war ein bißchen wie mit Micky, Donald und Goofy, die im Wohnwagen eine Serpentinenstraße hinunterfuhren. »Wer fährt eigentlich?« Sie spielten alle im Wohnwagen, aber niemand saß hinter dem Steuer und lenkte.
Yvonne brachte alles in Ordnung. Dann wurde es immer mehr ihre Aufgabe, sich um die Buchführung und die Rechnungen zu kümmern. Sie war schließlich auf dem Wirtschaftsgymnasium gewesen, und den Rest lernte sie nach und nach. Erst hieß es, sie würden sich bei der Buchführung abwechseln. Alle sollten spielen dürfen. Aber Yvonne machte es gut. Niemand außer ihr konnte es, sie blieb also bei der Buchführung hängen. Und die Bühne verschwand immer mehr.
Erst war sie sauer. Dann stellte sie fest, daß Wirtschaft und Buchführung Spaß machen konnte. Sie lernte, wie man Zuschüsse beantragte, und bekam einen Riecher dafür, wo es Geld zu holen gab.
Sie verschaffte sich eine feste Stelle mit einem kleinen, aber festen Gehalt. Mit der Zeit wurde das Gehalt ihr zu klein, und sie bewarb sich um besser bezahlte Jobs.
Nach einigen Anstellungen in verschiedenen Unternehmen beschloß Yvonne zu studieren. Sie belegte Betriebswirtschaft mit dem Schwerpunkt auf Organisation und Führung. Ihre Examensarbeit hatte Zeitplanung in einem IT-Unternehmen zum Thema. Sie machte Interviews, untersuchte Einstellungen und analysierte sie, und plötzlich merkte sie, daß sie als Beraterin einen Job machte, der sehr gesucht war.
Sie gründete »Mehr Zeit« und traf bei einem Kunden Lotta, eine Klassenkameradin aus der Handelshochschule. Sie arbeitete für eine amerikanische Firma, die eine neue Geschäftsidee hatte, sie räumte bei fremden Leuten die Schreibtische auf. Nun wollte sie sich selbständig machen. Sie erarbeiteten zusammen eine Methode, die zu Yvonnes Ideen über Zeitplanung paßte, und taten sich zusammen.
Yvonne stellte fest, daß die Welt voller Chaos war und daß die Leute geradezu nach Ordnung schrieen. Lotta und sie wurden wie rettende Engel empfangen, wenn sie mit ihren schneeweißen Ordnern und genau ausgearbeiteten Organisationsmethoden in das Büro des Kunden kamen. Hinterher weinten die Kunden vor Dankbarkeit, wenn sie ihre aufgeräumten Schreibtische sahen, und konnten sich gar nicht schnell genug zu den teuren Kursen von »Mehr Zeit« anmelden.
Der nach Pisse riechende Paria Yvonne war begehrt, erfolgreich und selbstbewußt geworden.
All dies hatte B. Ekberg in wenigen Minuten zum Einsturz gebracht.
10
Der Montag war ein herrlicher, klarer Tag. Yvonne begann ihren Arbeitstag im Hotel Sheraton, wo ein Netzwerk, in dem sie Mitglied war, zu einem Frühstücksvortrag eingeladen hatte. Sie
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