Saubere Verhältnisse
aufschieben. Und dann legte Nora los.
Yvonne genoß ihr Spiel. Das Putzen machte ihr viel mehr Spaß, wenn sie allein im Haus war. Während der Arbeit versuchte sie, sich ein Bild von Bernhard Ekberg und seinem Leben zu machen. Ein rascher Blick auf die Papiere auf dem Arbeitstisch (d.h. dem Eßtisch) verriet, daß er für eine große Bank arbeitete. (Nicht ihre eigene Bank, was für ein Glück! Es wäre nicht gut gewesen, als Yvonne in die Bank zu kommen und ihn dort zu treffen.)
Sein Privatleben war nicht so leicht zu entschlüsseln. Es ärgerte sie, daß sie so wenig Informationen bekam, obwohl sie ins Haus gelangt war und sich in aller Ruhe umsehen konnte. Sie hatte es doch zu einer gewissen Perfektion gebracht, die äußeren kleinen Zeichen des Vororts zu deuten, konnte schon frühzeitig Scheidungen, Seitensprünge, Todesfälle oder Schwangerschaften an ihnen ablesen, und jetzt war sie nicht in der Lage, festzustellen, ob hier ein alleinstehender Mann oder ein Paar wohnte.
Sie erlaubte sich nicht, Schubladen herauszuziehen und in Papieren zu schnüffeln, das gehörte nicht zu ihrem Job als Putzfrau. Aber durch das Putzen hatte sie Zugang zu vielen Winkeln und Ecken, und sie studierte alles aufmerksam. Fast überall herrschte die gleiche peinliche Ordnung wie im Vorratskeller.
Als Yvonne mit dem Erdgeschoß fertig war, trug sie den Staubsauger in den ersten Stock. Sie fing mit den kleinen Zimmern an. Das eine war offensichtlich als Bernhards Arbeitszimmer gedacht. Es gab einen Schreibtisch und Regale mit Ordnern. Offenbar zog er es jedoch vor, am Eßtisch im Erdgeschoß zu arbeiten.
Das andere kleine Zimmer war eine Kombination aus Fernseh- und Nähzimmer. Es gab eine moderne Nähmaschine unter einer Haube, ein Sofa, zwei durchgesessene Ledersessel vor einem Fernseher, der mindestens ein Jahrzehnt auf dem Buckel hatte.
Sie ging weiter ins Schlafzimmer, zog den Staubsauger wie einen treuen Hund hinter sich her. Als sie die Kissen im Erker ausschüttelte, bemerkte sie, daß man von diesem Fenster aus den Teil des Gartens sehen konnte, den sie von der Straße aus nicht hatte sehen können.
Der Gemüsegarten war größer, als sie vermutet hatte, und sah erbärmlich aus, so ungepflegt wie er war. Verwelktes Unkraut und irgendeine Kohlart, die zu halbmeterhohen struppigen Pflanzen ausgewachsen war, hatte allen Platz eingenommen, und das Ganze war zudem noch von Ackerwinde überwuchert. Ein Pfad aus ungleichen, rundlichen Steinplatten schlängelte sich wie ein Fluß durch das ungemähte Gras bis zu einem moosbewachsenen Felsen am Waldrand. Daneben wuchs Bambus und hohes Ziergras, dazwischen leuchtete eine helle Fläche. Ein Teich?
Als alles gemacht war, zog Yvonne ihren Mantel an, schloß die Haustür ab und ging in den Garten. Sie ging um das Haus herum und folgte dem sich schlängelnden Weg der Steinplatten.
Erst als sie ganz nah herangekommen war, sah sie, daß die wellige, reflektierende Wasserfläche, die sie vom Haus aus gesehen hatte, überhaupt keine Wasserfläche war. Die Erde unterhalb des Felsens war mit weißem Kies bestreut und in Wellenmustern geharkt worden, so daß es von weitem die Illusion einer von einer herbstlichen Brise gekräuselten Wasserfläche erzeugte. Drei Steine ragten aus der hellen Oberfläche, zwei schmale, senkrechte und ein kleinerer. Ein versteinerter Teich.
Yvonne hatte das Gefühl, daß sie nur die richtige Zauberformel aussprechen müßte und dann würde alles wieder lebendig. Vielleicht genügte ein Wort, um die grauweißen Erhebungen in kleine Wellen zu verwandeln, die im Wind schaukelten. Sie fühlte, daß sie wußte, welches Wort es war, sie hatte es nur dummerweise vergessen. Es war ein ganz einfaches, alltägliches Wort, davon war sie überzeugt, es würde ihr einfallen, wenn sie einen Knopf drückte oder sich die Zähne putzte.
Ist eine Wasserfläche ein lebendiges Wesen? Ja, wenn man eine versteinerte Wasserfläche gesehen hat, weiß man, daß richtiges Wasser lebendig ist.
Der Felsen am oberen Ende des Steinteichs erhob sich zu einer fast senkrechten, moosbewachsenen Wand und markierte das Ende des Grundstücks. Dahinter fing der Wald an – ein Laubwald aus Birke, Eiche, Esche und Vogelbeere.
Der Wind strich durch die Zweige, und nun sah sie das klingende Windspiel, das in einem Baum am Waldrand aufgehängt war. Von hier aus konnte sie nur den First des Hauses sehen, der über die seidig schimmernden Rispen des mannshohen Ziergrases ragte.
Was war das für
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