Sauberer Abgang
Zeigefinger.
Manfred Wenzel lächelte begütigend. Karen guckte ihn von der Seite an. Als Pressesprecher der Frankfurter Staatsanwaltschaft brauchte man genau die Mischung aus Eleganz, Diskretion und Jovialität, die Wenzel an den Tag legte. Zumal dann, wenn es um die eher seltenen Fälle geht, die das Publikum gleichwohl am meisten bewegte: Gewaltkriminalität. Und – wenn Niels Keller im Publikum saß.
Der Gerichtsreporter der »Umschau« galt bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft als Landplage. Bei der Polizei war er nicht weniger unbeliebt. Er ging grundsätzlich davon aus, daß die ermittelnden Organe der Staatsgewalt dumm, unfähig, faul bzw. verlogen und verschworen waren. Er sah sich als Anwalt der mißhandelten Wahrheit, jeder seiner Auftritte machte die Szene zum Tribunal. Und seine Gerichtsreportagen lasen sich wie Anklageschriften vor dem Jüngsten Gericht.
»Wie viele Menschen müssen noch sterben, damit Sie endlich Ihre Pflicht tun?« Keller stand jetzt zwischen den Stuhlreihen, die Arme dramatisch ausgebreitet.
»Wie ich schon erläuterte«, sagte Wenzel ruhig, »liegt Julius Wechsler im Koma und ist zur Zeit nicht vernehmungsfähig.«
»Er wurde ermordet. Wie Marcus Saitz, Ihr Kollege Czernowitz und Max Winter auch!«
»Julius Wechsler lebt, und Max Winter ist an einem Herzinfarkt gestorben. Es gibt keinen Anlaß für Aufregung.«
»Aber das hängt doch alles zusammen! Das sieht doch jeder Idiot!«
Karen Stark verzog den Mund. Sie konnte Kellers Stimme nur schwer ertragen.
»Julius Wechsler erlitt einen Schädelbruch mit Gehirntrauma. Ich sehe nicht, wo da der Zusammenhang liegen soll, Herr Keller.«
»Das ist ein Serienmord! Das geht uns alle an! Was sagt die ermittelnde Staatsanwältin?«
Wenzel nickte Karen zu. Sie nickte zurück, lehnte sich in ihren Sessel und räusperte sich.
»Rund 90 Prozent aller Tötungsdelikte sind Beziehungstaten, das heißt Opfer und Täter stehen in Beziehung zueinander.«
»Weiß ich.« Keller stand noch immer und war mittlerweile rot im Gesicht.
»Anzeichen für einen Serienmord, lieber Herr Keller, liegen dann vor, wenn es …« – sie hob die rechte Hand und spreizte Daumen, Zeige- und Mittelfinger – »mindestens drei Todesfälle gibt und Täter und Opfer keine Beziehung zueinander aufweisen.«
»Das ist bekannt!«
»Wir haben zwei Mordfälle, die die gleiche Handschrift aufweisen. Darüber hinaus läßt nichts auf einen pathologischen Täter schließen, der seine Opfer wahllos aussucht. Der bzw. die Täter sind im Zweifelsfall im Umkreis der Getöteten zu finden und keine allgemeine Gefahr für die Öffentlichkeit.«
»Sie weichen mir aus. Tatsache ist doch …«
»Thomas Czernowitz saß an einer brisanten Wirtschaftssache …«
Na ja – brisant: Daß ein Beamter, der unter Bestechungsverdacht steht, ausgerechnet den ermittelnden Staatsanwalt erwürgt, war eher unwahrscheinlich.
»… und Julius Wechsler steckte mitten in einem umstrittenen Immobiliendeal.«
Eine seiner Firmen hatte angeblich durch Aufnahme von sogenannten asozialen Elementen einen ganzen Wohnblock entmieten wollen.
»Und Marcus Saitz?« fragte eine junge Journalistin, die Karen noch nicht kannte.
»Marcus Saitz hat mit fremdem Geld spekuliert. Gut möglich, daß ein Kunde Rache nehmen wollte. Sie sehen – wir sind nach allen Seiten offen.«
Sie lehnte sich zurück und blinzelte Manfred Wenzel zu, der die Konferenz beendete. Als auch Niels Keller endlich gegangen war, kam die Abteilungssekretärin in den Sitzungssaal und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Karen sah ihn fragend an. Manfred Wenzel nickte.
17
1981
Ihn faszinierte das Licht. Julius Wechsler nahm die Brille ab, auf der Nieselregen einen schlierigen Film hinterlassen hatte, und blinzelte in den blauen Lichtblitz. Wenn man die Augen zusammenkniff, konnte man den halbrunden Reflektor erkennen, der sich um die Glühlampe in der Mitte des Gehäuses drehte. Blaulicht auf dem Wasserwerfer. Wawe 4, Baujahr 1974, 156 PS, 4000-Liter-Wassertank, Zusatztank für Reizgas, 2 Strahlrohre in Drehtürmen, 2 Zielscheinwerfer. Blaulicht auf dem rundum vergitterten grünen Einsatzwagen, auf dessen Dach ein Paar tulpenförmige Lautsprecher hockten.
Die Polizisten, die sich um Wawe 4 scharten, vor dessen vergitterten Scheinwerfern Regentropfen durchs Licht tanzten, hatten ihre Helme aufgezogen. Die Schilde standen an den Wasserwerfer gelehnt.
Das Funkgerät des Einsatzleiters krachte und krächzte, noch klangen die Stimmen der
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