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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Sein Mund öffnete sich, als ob er sprechen wollte. Dann ließ er die Hand wieder sinken.
    Panisch vor Angst begann Will zu reden.
    Über Marga. Wie sie noch abends unter der Schreibtischlampe saß und Schulhefte korrigierte – die blonden Haare, die sie aufgesteckt trug, lösten sich bereits und fielen ihr in feinen Locken auf die Schultern. Wie sie beim Abendessen geduldig zuhörte, wenn Karl endlos aus dem Betrieb erzählte und vom Beton – »Kommt drauf an, was man draus macht«. Wie sie den Sohn gegen den Vater verteidigte und den Vater gegen den Sohn und nicht ein einziges Mal ungeduldig wurde, weder mit dem einen noch dem anderen.
    Und schließlich erzählte er seinem Vater von der Erfindung der Liebe. Davon, daß ein Augenblick entscheidet über den Rest des Lebens. Als ob Karl Bastian das nicht besser wüßte als sein Sohn.
    Aber Will sah in die Augen von Dalia. Und obzwar er nicht wußte, was er dort sah, Verbündete oder Gegnerin, würde er immer wieder hineinsehen wollen. Und wenn sie mein Todesengel wäre, dachte er.
    Als er kurz davor war, seinem Vater von der Putzfrau mit den Katzenaugen zu erzählen, die so klein war wie eine Elfenprinzessin, und die mit einem weißen Bullterrier durch die Stadt schwebte, der Wotan hieß und blaue Augen hatte – als er bereit war, sich völlig lächerlich zu machen, kamen zwei junge Krankenschwestern ins Zimmer gestürmt, nannten seinen Vater Papachen und scheuchten Will aus dem Zimmer, während sie den Alten »fertigmachten«, wie die eine sagte.
    Als er zurückkam, lehnte Karl in den Kissen und hatte die Augen geöffnet. Er sah ihn an und sagte etwas, es klang, glaubte Will, wie »Marga«. Sein linker Mundwinkel hing herab, gelähmt wie nach einer Betäubung beim Zahnarzt, nur nicht ebenso vorübergehend. Will griff nach einem der Papiertücher, die auf dem Tisch neben dem Bett lagen und tupfte seinem Vater den Speichelfaden vom Kinn. Wenn Karl noch der alte gewesen wäre, hätte er sich diese Intimität verbeten. Aber jetzt sah er seinen Sohn an, als ob Krimkrieg sei und Will Florence Nightingale.
    Wieder versuchte er zu sprechen, gequält, die Augen weit aufgerissen, flehend fast. Will spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. »Ich hab’ dich doch noch so viel zu fragen«, sagte er leise. Karl Bastian schloß die Augen, legte den Kopf nach hinten und stieß einen Laut aus, der wie das leise Heulen eines verlassenen Hundes klang.
    Will nahm die Hand seines Vaters, lehnte sich in den Stuhl und schloß die Augen. Er sah Dalia vor sich, versank in ihren Augen, spürte ihre unendlich weichen Lippen, legte ihr die Hände um den Nacken, hörte ihren Atem schneller werden.
    Nach einer Weile schreckte er auf. Irgend etwas hatte sich verändert im Zimmer. Es war dunkel geworden draußen, das auch. Aber das war nicht alles. Will suchte nach dem Schalter fürs Licht, den er am Bettrahmen fand, dort, wo eine Greisenhand ihn leicht ertasten konnte. Im kalten Licht der Leuchtröhre sah Karl Bastians Gesicht wie eine Totenmaske aus. Und wieder schnürte es Will die Kehle zu – der Alte war noch gestern putzmunter und gutgelaunt gewesen, kein Vergleich mit dem menschlichen Wrack in diesem gräßlich weißen Krankenhausbett, dessen Mund erschlafft war und halb offen stand. Karl atmete aus mit einem tiefen, dumpfen Stöhnen. Dann – nichts. Wills Hand verkrampfte sich um die des Alten. Der holte mühsam Luft und atmete wieder aus, mit diesem Stöhnen, das noch tiefer geworden zu sein schien. Will kannte den Sound. Marga hatte so geatmet in ihren letzten Minuten.
    Sein erster Impuls ließ ihn nach der Klingel greifen, die an einer Schnur an der Lichtleiste über dem Bett hing. Die Schwestern. Ein Arzt. Hilfe.
    Aber dann dachte er an die Schläuche und Kabel und Monitore und an ein Leben, das einen friedlichen Tod verdient hatte. Er strich seinem Vater über die Stirn, die trocken und kühl war, und hielt ihm die Hand. Die Abstände zwischen den Atemzügen wurden länger.
    Will murmelte beruhigende Worte, aber es war nicht Karl, den er beruhigen wollte, er wollte sich selbst trösten, wie ein Kind, das sich im Dunkeln Gutenachtgeschichten erzählt.
    Er begann, Karls Atemzüge zu zählen. Der dreiundzwanzigste war der letzte. Der Körper des Alten spannte sich unter der Bettdecke, er schien sich noch einmal zu strecken bis in die Fußspitzen hinein, und dann hielt Will seines Vaters Hand, wie er schon die seiner Mutter gehalten hatte. Es war seltsam, wie fremd eine Hand

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