Saugfest
mit mir.
»Was soll das heißen?« Allein die Tatsache, dass ich diesen Satz ausspreche, zeugt von meinem
wirklichen
Interesse.
»Das heißt, dass es bestimmt besser ist, alles abzublasen!« Nun fängt sie auch noch an zu weinen, eine Unart, die ich ausdrücklich missbillige. Nur Memmen weinen. Und Annkathrin, die nun hysterisch wird: »Mutti findet das natürlich unmöglich. Wegen der Leute! Mutti ist außer sich. Bestimmt sind alle anderen auch außer sich, aber das ist mir auch egal. Ach, ich weiß nicht, was ich tun soll!« Und dann sagt sie: »Kannst du herkommen? Bitte!«
»Jetzt?«
»Natürlich jetzt!«, heult Annkathrin und schnäuzt sich lautstark.
»Mutti ist auch da. Ich brauche dich jetzt wirklich, Helene!«
Das ist ja super, dass Mutti auch da ist. Mutti mag ich ungefähr so gern wie eine herausgefallene Plombe oder eine Zwangsehe mit einem Iraker, um es mal dezent auszudrücken. Mutti heißt Isolde und war schon immer eine absolute Nervensäge. Sie hat Annkathrin immer gezwungen, auch im Sommer Strumpfhosen zu tragen und dicke Pullover, was zur Folge hatte, dass Annkathrin ständig krank war. Und Isolde machte sich immer Sorgen um »den Umgang, den meine Tochter hat«. Niemand war gut genug für sie, auch ich natürlich nicht. Unter anderem hat sie behauptet, ich sei eine Diebin und hätte ihren Schmuck, so komische, hässliche Ringe und Colliers und Broschen, die sie von ihrer Tante geerbt hat, kaltblütig aus ihrer Nachttischschublade geklaut, was ja auch stimmt, aber ich habe damit der Menschheit eine Freude
gemacht, weil es eine Zumutung fürs Auge war, diesen Schmuck anzuschauen. Bernstein, noch Fragen? Um es kurz zu machen: Isolde mag mich nicht, und ich mag Isolde nicht. Um es noch kürzer zu machen: Wir finden uns gegenseitig zum Kotzen. Ihren Mann hat sie auch nicht mehr. Der hat sich mit einem Arbeitskollegen aus dem Staub gemacht, um fortan monogam zu leben, und das im Himalayagebirge. Ich glaube nicht, dass er seine Entscheidung bereut hat. Isolde hat die Trennung ganz gut verkraftet, jetzt konnte sie noch mehr um Annkathrin herumglucken.
Also gut, ich werde jetzt zu Annkathrin fahren, weil ich es nicht ertragen kann, wenn es ihr nicht gutgeht. Sie ist der einzige Mensch auf dieser Welt, den ich mag. Außerdem bin ich neugierig. Schlecht gelaunt und neugierig. Das passt gut zusammen, wie ich finde. Und wie andere das finden, geht mir am Hintern vorbei. Und was Mutti findet, erst recht. Manchmal wünsche ich ihr einen Unfall. Keinen wirklich schlimmen natürlich, na ja, um ehrlich zu sein, doch. Ich wünsche fast allen Leuten schlimme Unfälle.
Nachdem ich mein Rad aus dem Keller geholt habe und losgeradelt bin, fängt es an zu regnen, was meine Laune noch schlechter werden lässt. Wann hatten wir eigentlich den letzten richtig harten Winter, bei dem die Straßen zufroren und man mit dem Fahrrad ausrutschen, hinfliegen und sich tödlich verletzen konnte? Das wäre doch mal was. Für mich, meine ich jetzt natürlich, nicht für Mutti.
2
»Ich werde meinen Verlobungsring jetzt essen«, schluchzt Annkathrin, »und hoffentlich beim Runterschlucken daran ersticken. Ich habe es verdient.«
Wir sitzen zu dritt zusammen, also sie, Mutti Isolde und ich.
»Wisst ihr eigentlich, was die Torte gekostet hat?«, ist das Einzige, was die hysterische Isolde immer wieder sagt. »Die Torte hat ein
Vermögen
gekostet.«
»Bestell sie doch ab«, schlage ich vor. »Von dem Geld kannst du dir vielleicht eine günstige Grabstätte kaufen.«
Isolde war noch nie die Hellste, deswegen wundert es mich kein bisschen, dass sie als Antwort nur ein »Weißt du, was Grabstätten kosten?« in die Runde wirft.
»Bernie ist Bauunternehmer«, greint Annkathrin weiter, »ich hätte wissen müssen, dass ich Zweifel bekomme.«
»Das hätte dir genauso gut mit einem Arzt passieren können«, sage ich und würge einen der trockenen Kekse hinunter, die wahrscheinlich noch aus den letzten Kriegstagen stammen und die Isolde immer und überall auf den Tisch stellt, egal, wo sie hinkommt.
»Ein Arzt würde mich niemals zu solchen Gedanken verleiten«, lautet die Antwort. »Aber ein Mensch vom Bau ist roh und ungehobelt, weil er den ganzen Tag mit Beton und Stahlträgern und anderen toten Elementen zu tun hat«, bekomme ich weiter erklärt. »Nur ein Bauarbeiter ist fähig, mich so zu verunsichern.« Sie beginnt zu schielen, wie immer, wenn sie sich aufregt. Das ist der einzige Makel an ihr. Ansonsten ist sie eine
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