Sautanz (German Edition)
Wind aus Norden pustete die lähmende Warmluft aus den Alpen. Am Morgen kratzte man hier und da schon eine dünne Eisschicht von der Windschutzscheibe. Tagsüber wurde es aber in den sonnigen Regionen immer noch sehr warm.
Das Haus der Familie Smekal lag in Katzelsdorf, einem verträumten Ort an der Leitha, wo es noch einen richtigen Auwald gab. In der Kellergasse, hinter einem Holzzaun auf weißem Sockel, lag das Haus mit einem integrierten spitzen Vordach. Es war großzügig dimensioniert, wirkte aber keinesfalls protzig in die Gegend geklotzt oder auffällig neureich gestaltet, sondern schlicht und funktionell. Der Garten war eher klein, denn das Haus nahm fast die gesamte Länge des Grundstücks ein. Es gab keine Blumenrabatten, sondern einige Bäume und eine gepflegte Rasenfläche. Eine Birke zeigte erste gelbe Blätter. Es roch nach frisch gemähtem Gras. Woher, wurde klar, als im Garten nebenan ein Rasenmäher losratterte.
Anja Smekal, eine zarte Blondine um die vierzig, war vermutlich mal eine hübsche Frau gewesen. Jetzt bot sie einen erbarmungswürdigen Anblick. Blass und verhuscht, die Augen rot vom Weinen, doch ruhig und scheinbar gefasst empfing sie Beat und Lupo. Im ganzen Haus roch es muffig, als sei länger nicht gelüftet worden. Auf den Möbeln lag Staub. Auf dem Tisch des Wohnzimmers, in das Anja Smekal sie geführt hatte, stapelten sich Zeitungen, Illustrierte, dazwischen schmutzige Servietten von einem lang zurückliegenden Mahl. Daneben eine halbe Flasche Cognac, kein Glas, doch eingetrocknete Ränder davon auf der Tischplatte.
Anja Smekals Kleider vermittelten den Eindruck, dass sie seit Tagen in ihnen geschlafen hatte. Von ihr ging ein säuerlicher Geruch aus. Ihr unsteter Blick konnte nicht lange an einer Stelle verweilen. Sie sah aus, als wäre mit dem Tod ihres Mannes ihre Welt zusammengebrochen. Was vermutlich auch der Fall war.
So einfühlsam wie möglich stellt Lupo der Witwe eine Menge Fragen über die letzten Tage ihres Mannes. Da Erich Smekal selbstständig war und eine kleine Spedition betrieben hatte, erkundigte er sich auch nach der Firma. Auftragslage, Schuldenstand, Feinde, all das konnte eine Rolle spielen. Bei ungeklärten Todesfällen war vom Selbstmord über Unfall bis Mord alles drin. Je mehr Lupo von der Witwe in Erfahrung bringen konnte, desto früher konnte man vermutlich einiges ausschließen. Er musste sich auch über die familiären Verhältnisse erkundigen. Anja Smekals Mund verzog sich zu einem schmalen Strich, als er sie nach ihrer Beziehung zu ihrem Mann fragte. Das war sichtlich ein Thema, über das man in ihrer Welt mit unbekannten Dritten nicht sprach.
»Sehen Sie, gnädige Frau, ich stelle diese Fragen nicht, weil ich neugierig bin. Aber wenn ich nachforschen soll, was mit Ihrem Mann passiert ist, muss ich so viel wie möglich über sein Umfeld erfahren. Wie er normalerweise war. Ob er in der letzten Zeit ein verändertes oder auffälliges Verhalten an den Tag gelegt hat. Wie er zu seiner Familie stand. Je mehr ich weiß, desto weniger muss ich von anderen Zeugen erfragen.«
Anja Smekals Blick war abwehrend, ja fast feindlich. Sie fuhr sich mit der Hand durch ihr verfilztes Haar. »Ich verstehe«, sagte sie. Doch ihre Körpersprache machte Lupo klar, dass er hier und jetzt nicht willkommen war.
»Und wie war das Verhältnis Ihres Mannes zu Ihrem Sohn?«
Anja Smekals Blick wechselte von feindselig zu entrüstet. »Wollen Sie jetzt andeuten, dass mein Sohn etwas mit Erichs Tod zu tun haben könnte?«, fragte sie mit vor Empörung zittriger Stimme. Sogar ihre Wangen färbten sich vor Entrüstung rosig.
»Selbstverständlich nicht. Ich möchte nur wissen, wie sie zueinander standen. Waren sie Kumpel, war das Verhältnis Vater – Sohn eher autoritär geprägt?«
»Fragen Sie Lukas doch selbst«, kam die schnippische Antwort.
»Das werde ich bei Gelegenheit tun. Jetzt will ich nicht weiter stören. Ich melde mich nach der Beerdigung wieder. Bis dahin habe ich mir einen Überblick verschafft.«
Lupo erhob sich, und Beat begleitete ihn zur Tür.
»Das dürfen Sie de Anja nöd übel nehmen.« Beat reichte Lupo die Hand. Er hatte einen festen Händedruck und blickte Lupo direkt in die Augen. »D’Anja isch völlig durchenander. Sonsch is sie nöd so.«
»Keine Sorge. Es ist sehr schlimm, wenn man einen geliebten Menschen ohne jede Vorwarnung verliert. Wenn der Partner krank war und nach langem Leiden stirbt, dann war man vorgewarnt. Manchmal ist man
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