Saving Phoenix Die Macht der Seelen 2: Roman (German Edition)
Strähnen ins Gesicht, um auf den Bildern der Überwachungskameras, die überall auf dem Gelände verteilt waren, nicht sofort erkennbar zu sein. Ich pirschte mich an zwei Mädchen heran, die etwa einen Meter von meinem Opfer entfernt standen. Sie trugen Shorts und Tanktops wie ich, aber der leichenblassen Haut der Blondine nach zu urteilen, hatte sie diesen Sommer deutlich mehr Zeit in geschlossenen Räumen verbracht als ich. Die andere hatte drei kleine Ringe im Ohr, weswegen meine fünf Piercings hoffentlich nicht weiter auffielen. Die Mädchen warfen mir einen Seitenblick zu und lächelten.
»Hi, tut mir leid, ich bin zu spät«, flüsterte ich. Man hatte mir gesagt, dass sie sich untereinander nicht besonders gut kannten, da sie erst letzte Nacht für ihre Konferenz angereist waren. »Hab ich irgendwas Spannendes verpasst?«
Das Mädchen mit den Ohrringen grinste mich an. »Wenn du Wildblumenwiesen magst, dann schon. Sie haben auf dem Gelände Unkraut ausgesät, zumindest würde mein Opa es so bezeichnen.« Sie hatte einen breiten Südstaaten-Akzent, der von Zucker und Magnolien troff. Ihr Haar war zu engen Cornrows geflochten, bei deren Anblick ich unwillkürlich ›autsch‹ dachte.
Die Blondine beugte sich zu mir herüber. »Hör nicht auf sie. Es ist total faszinierend.« Sie hatte auch einenAkzent – Skandinavisch vielleicht. »Sie verwenden für das Dach eine leichte Membran auf Polymerbasis. Ich hab mit dem gleichen Stoff letztes Jahr im Labor rumexperimentiert ... Wird also interessant sein, als wie haltbar sich das Ganze jetzt erweist.«
»O ja, das ist echt ... cool.« Ich war bereits total von ihnen eingeschüchtert: Sie waren eindeutig Genies und schafften es trotzdem, toll auszusehen.
Die Fremdenführerin winkte die Gruppe weiter und wir marschierten die Rampe hinauf ins eigentliche Stadion. Dem Grund meines Hierseins zum Trotz überkam mich das erhabene Gefühl, nun denselben Weg zu nehmen wie schon bald die olympische Fackel. Nicht dass ich jemals die Chance gehabt hätte, am eigentlichen Ereignis teilzuhaben; meine Träume von einer sportlichen Karriere waren nie aus den Startblöcken herausgekommen. Es sei denn, das olympische Komitee würde den verrückten Einfall haben, Diebstahl zur medaillenwürdigen Disziplin zu erklären – dann standen meine Chancen nicht schlecht. Ein geglückter Raubzug war ein unglaublicher Kick, für das geschickte Zugreifen und die unbemerkte Flucht brauchte man mindestens genauso viel Talent wie fürs Im-Kreis-Rennen auf irgend so einer blöden Bahn! Ja, in meiner Disziplin war ich eine Anwärterin auf die Goldmedaille.
Die quietschvergnügte Fremdenführerin schwenkte ihren Schirm als Aufforderung zum Weitergehen und so betraten wir das große Stadion-Oval. Wow! Bis hierhin war ich bei meinen vorherigen Abstechern auf das Gelände noch nie gekommen. In meinem Kopf ertönte derJubel der Menge. Reihe um Reihe der leeren Sitze füllte sich mit den Schattengestalten der zukünftigen Zuschauer. Mir war nicht klar gewesen, dass die Zukunft in gleicher Weise Geister bereithielt wie die Vergangenheit, aber ich konnte sie klar und deutlich sehen. Die Energie sickerte durch die Zeit bis zu diesem ruhigen Mittwochmorgen im Juli.
Ich rief mir wieder meinen eigentlichen Auftrag ins Gedächtnis und rückte unauffällig näher an den Jungen heran. Ich konnte ihn jetzt im Profil sehen: Er hatte die Sorte von Gesicht, wie man es in Mädchenzeitschriften sieht, neben irgendeinem umwerfenden Model. Er hatte in puncto gute Gene voll abgesahnt: eine fein geschnittene Nase, lässig frisiertes tintenschwarzes Haar, dunkle Augenbrauen, zum Sterben schöne Wangenknochen. Seine Augen waren hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckt, aber ich hätte wetten können, dass sie riesengroß, schokobraun und gefühlvoll waren – o ja, er war zu perfekt, um wahr zu sein, und dafür hasste ich ihn.
Ich ertappte mich dabei, wie ich den Kerl finster musterte, und war von mir selbst überrascht. Warum reagierte ich so auf ihn? Normalerweise empfand ich nichts für meine Opfer, abgesehen von einem leisen Anflug von schlechtem Gewissen, dass ich ausgerechnet sie herausgegriffen hatte. Ich versuchte immer Leute auszuwählen, denen der Verlust nicht so viel ausmachen würde, ein bisschen wie Robin Hood. Es machte mir Spaß, meine reichen Opfer auszutricksen, aber dabei sollte niemand wirklich zu Schaden kommen.
Dieser Coup fiel ein bisschen aus der Reihe, da ich imAuftrag handelte; es war eher
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