Scepter und Hammer
kleinen Karte war in feinen Zügen ›Aloys Penentrier, Rentier‹ zu lesen. Der Engländer hielt es nicht der Mühe werth, einen Blick darauf zu werfen, sondern behielt beharrlich seine Stellung bei.
»Sie scheinen mehr nachdenklich als unterhaltend gestimmt zu sein, Sir. Oder soll ich vielleicht in der Nichtbeachtung meiner Karte eine absichtliche Beleidigung erkennen?«
Der Graue steckte jetzt den Kopf ganz zum Fenster hinaus; das bleiche Gesicht des Kleinen röthete sich. Er legte die Hand auf den Arm des Engländers und frug:
»Wollen Sie die Güte haben, zu hören, was ich sage?«
Der Engländer zog unter dieser Berührung den Kopf zurück. Die Lorgnette war ihm unter dieser raschen Bewegung wieder vor auf die Nasenspitze gerutscht.
»
Very well,
uoll’ Sie flieg’ aus das Uagen hinaus in das Luft? Uas uag’ Sie, anzugreif meinen Person!«
»Ich frage nur, ob Sie die Absicht haben, mich zu beleidigen?«
»
Stand off,
bleib’ Sie mir von das Leib! Uas frag ich nach Ihr’ Kart’, Ihr Personage und Ihr Beleidigung! Halt’ Sie das Mund; ich uill hab’ Ruhe!«
Diese Worte waren in einem Tone gesprochen, welcher dem Kleinen ganz wider Willen imponirte. Er zog sich in seine Ecke zurück, murmelte etwas von ›Unverschämtheit‹ und ›Spleen‹, warf noch einen giftigen Blick auf den Grauen und schloß dann die Augen.
Die Reise wurde schweigend fortgesetzt. An jeder bedeutenderen Station blickte der Schwarze aus dem Wagen und nahm dann jedesmal von einer Person, welche den Zug erwartet haben mußte, ein Couvert in Empfang, welches er öffnete, um den Inhalt zu überfliegen. Dieser Umstand fiel dem Engländer auf, doch ließ er sich nicht das Mindeste davon merken. Nach der jedesmaligen Lektüre, die durch das im Coupé brennende Licht ermöglicht wurde, legte der Kleine das Schriftstück neben sich auf den Sitz. So lagen acht bis neun dieser Skripturen neben ihm, als man die letzte Station an der Residenz erreichte. Auch hier bog er sich durch das Fenster, um ein Couvert in Empfang zu nehmen und mit dem Ueberbringer desselben einige Worte zu wechseln. Der Engländer benutzte diesen Augenblick; mit einer blitzschnellen Bewegung hatte er eins der Papiere ergriffen und in seiner Tasche verborgen.
Der Zug setzte sich wieder in Bewegung und hielt nach kaum einer Viertelstunde auf dem Bahnhofe der Hauptstadt. Der Schwarze nahm die Schriftstücke zusammen und steckte sie, ohne das Fehlen des einen zu bemerken, zu sich. Ohne Wort und Gruß verließ er den Wagen.
Der Graue stieg schnell hinter ihm aus. Ein Diener, welcher zweiter Klasse gefahren war, wartete bereits auf ihn, und neben demselben stand Doktor Brandauer, welcher, von seiner Kahnfahrt zurückgekehrt, sich nach dem Bahnhofe begeben hatte, um den Sohn des Lord Halingbrook zu empfangen.
»Emery!«
»Max!«
Sie begrüßten einander durch eine herzliche Umarmung, welche sich aber Emery schnell zu lösen beeilte.
»
Have care!
Siehst Du dort den kleinen schwarz gekleideten Menschen mit dem Gepäckschein in der Hand?«
Er konnte jetzt sehr gut deutsch sprechen. Hatte er sich vorhin nur verstellt?
»Du meinst den, welcher mit dem Kofferträger verhandelt?«
»Yes, denselben.«
»Was ist mit ihm?«
»Komm! Wir müssen ihm folgen; wir müssen sehen, wo er wohnt!«
»Warum?«
»Später! Unterwegs sollst Du es erfahren.«
»Der Wagen wartet draußen auf Dich.«
»Können ihn nicht gebrauchen. Go on, vorwärts!«
Er warf dem Diener einen kurzen Befehl hin, nahm den Freund unter den Arm und folgte mit ihm dem Schwarzen, welcher nach dem Ausgange schritt und dort einen Fiaker nahm.
In der Nähe hielt eine Equipage mit dem Peerswappen der Familie Halingbrook. Sie schritten an ihm vorüber und nahmen eine Droschke.
»Dem Fiaker dort nach, aber ohne daß es bemerkt wird!« befahl Emery beim Einsteigen.
Dann nahmen sie Platz.
Der Weg ging durch mehrere Straßen und über einige Plätze der Stadt. Während der Fahrt konnte Emery seine Mittheilung machen. Max sagte sich, daß der kleine Mann eine sehr beachtenswerte Persönlichkeit sein müsse, da der junge Lord nach einer langen und beschwerlichen Reise nicht zur Wohnung fuhr, sondern diesen Unbekannten sofort vom Bahnhofe weg verfolgte.
»Du kennst ihn?« frug er.
»Yes, und zwar sehr. Er ist ein Jesuit, eines der hervorragendsten Mitglieder dieser Brüderschaft.«
»Ah!«
»Er hat in Freiburg, wo ich ihm begegnete und von ihm sprechen hörte, ohne daß er mich bemerkte, seine Erziehung
Weitere Kostenlose Bücher