Schach mit einem Vampir
wurdewieder menschlicher Natur und zeigte daraufhin das schöne, frühere Antlitz von Miss Meyers. Noch bevor sie zu Boden ging, war der Vampir neben ihr und fing ihren zusammensackenden, vom Fluch des untoten Daseins erlösten Körper fast zärtlich auf. Sorgsam legte er Klara Meyers erschlafften Leib zu seinen Füßen ab. Inzwischen wirkte das zuvor schmerzverzerrte Gesicht der Toten entspannt. Ihre zarten gütigen Gesichtszüge waren zurückgekehrt. Fraizer hatte sie von dem unnatürlichen Leben erlöst und ihr ihren Seelenfrieden wiedergegeben. Er hatte sie davor bewahrt, ewig als Geschöpf der Nacht umherzuwandeln und Unschuldigen etwas anzutun. Der Vampir stand einen Moment mit gesenktem Haupt über seiner Angebeteten. Er hatte die Liebe gefunden und sie sogleich wieder verloren. Dann wandte er sich Fraizer zu. Unendlicher Zorn spiegelte sich in seinen bestiengleichen Zügen wider. Wie ein Blitz kam der Angreifer über den Detektiv. Dieses Mal hatte Fraizer keine Waffe mehr zu seiner Verteidigung. Und er konnte auch mit der Schnelligkeit und der Kraft seines Gegners nicht mithalten. Er spürte, wie er von einer unmenschlichen brutalen Kraft in die Luft gerissen wurde und Bruchteile eines Augenblicks später rücklings gegen die Wand krachte. Er schlug hart mit dem Rücken gegen die kalten Backsteine, sodass ihm die Luft wegblieb. Sein Kopf schlug seitlich mit dem Ohr an die Wand. Es platzte auf wie ein rohes Ei, das man mit Gewalt auf den Boden schmettert. Dann sackte der Detektiv schräg zu Boden und blieb bewegungsunfähig liegen. Er fühlte, wie ihm warmes Blut über den Kopf und die Schulter lief. Er schmeckte es in seinem Mund. Die Schmerzen waren verheerend und er kämpfte gegen eine nahende, unvermeidliche Ohnmacht an, die sich wie ein träges Gift in seinen Geist einschlich. Fraizer sah einen Schatten auf sich zuschreiten. Er nahm nur noch Umrisse, Konturen wahr. Jemand beugte sich über ihn. Der Vampir! Ganz dicht an seinem Ohr vernahm er, wie durch einen dichten Novembernebel, die kalte Stimme des Geschöpfes der Nacht.
„Ich habe dich unterschätzt, Mensch. Das Spiel ist also doch noch nicht beendet. Bleiben wir bei den Schachbegriffen, mein schwieriger Feind. Du hast dir mit einer Rochade noch ein wenig Zeit verschafft; deinen König noch einmal in eine trügerische Sicherheit gerettet. Ich gebe zu, mit diesem Spielzug habe ich nicht gerechnet! Nutze deine kleine Chance …“ Nach diesen Worten, die wie durch Watte gesprochen an seine Ohren gedrungen waren, schwanden dem Detektiv die Sinne und er glitt in eine tiefschwarze, erlösende Ohnmacht.
***
Er erwachte auf dem kühlen Steinboden und verharrte einen Moment lang reglos in seiner Position. Dann setzte er sich ruckartig auf. Er erkannte sofort, wo er sich befand, erinnerte sich schlagartig an die vor kurzer Zeit geschehenen Ereignisse. Der Vampir, Miss Meyers … Die junge Frau lag noch immer dort, wo Fraizer sie zum letzten Male gesehen hatte. Sie lag auf ihrem Rücken und das Ende eines Holzpflocks ragte knapp unter ihrer linken Brust aus dem Leib. Das Geschehene tat Fraizer leid, doch es hatte keine Alternative zu seinem Handeln gegeben. Und schließlich hatte er sie töten müssen, um sich selbst zu schützen. Nein, korrigierte er sich. Er hatte sie nicht getötet, das war ein falscher Ausdruck. Vielmehr hatte er sie erlöst und ihr damit einen Gefallen erwiesen. Und wo befand sich der schreckliche Vampir? Er hielt sich nicht mehr in diesem uralten, seltsamen Raum auf, der vermutlich einmal in früheren Zeiten als Wasserspeicher gedient hatte. Da durchfuhr Fraizer ein fürchterlicher Gedanke wie ein Stromschlag. Er erinnerte sich an die warnenden Worte des Untoten. Hatte er ihm nicht damit gedroht, dass das Spiel noch nicht beendet sei? Und dann schnellte der Detektiv auf seine Beine, denn ihm war ein schrecklicher Gedanke gekommen. Was, wenn sich die Bestie rächen wollte? Was, wenn er seiner Frau, seiner geliebten Christien etwas antat? Es war der einzig logische Schritt für den Vampir. DieBestie wollte sich seine Frau holen, ihr Blut trinken und sie dann aufschneiden, um ihr Herz aus ihrem Körper herauszuholen, dessen wurde sich Fraizer schlagartig bewusst. Das wäre dann der schreckliche Ausgleich für seinen erlittenen Verlust …
Verdammt, wie lange war ich nur ohnmächtig gewesen? Ich muss hier schnellstens heraus , peitschten die Gedanken durch den Kopf des Detektivs. Wie im Fieber suchte Fraizer nach einer Möglichkeit, den
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