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Schach von Wuthenow

Schach von Wuthenow

Titel: Schach von Wuthenow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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sprich. Du darfst es. Es sei, was es sei.«
    Victoire schlug ihren Arm um Frau von Carayons Hals, und ein Strom von Tränen entquoll ihrem Auge.
    »Beste Mutter!«
    Und sie zog sie fester an sich und küßte sie und beichtete ihr alles.
     
Zwölftes Kapitel
     
Schach bei Frau von Carayon
    Am andern Vormittage saß Frau von Carayon am Bette der Tochter und sagte, während diese zärtlich und mit einem wiedergewonnenen ruhig-glücklichen Ausdruck zu der Mutter aufblickte: »Habe Vertrauen, Kind. Ich kenn ihn so lange Zeit. Er ist schwach und eitel nach Art aller schönen Männer, aber von einem nicht gewöhnlichen Rechtsgefühl und einer untadligen Gesinnung.«
    In diesem Augenblicke wurde Rittmeister von Schach gemeldet, und der alte Jannasch setzte hinzu, »daß er ihn in den Salon geführt habe«.
    Frau von Carayon nickte zustimmend.
    »Ich wußte, daß er kommen würde«, sagte Victoire.
    »Weil du's geträumt?«
    »Nein, nicht geträumt; ich beobachte nur und rechne. Seit einiger Zeit weiß ich im voraus, an welchem Tag und bei welcher Gelegenheit er erscheinen wird. Er kommt immer, wenn etwas geschehen ist oder eine Neuigkeit vorliegt, über die sich bequem sprechen läßt. Er geht einer intimen Unterhaltung mit mir aus dem Wege. So kam er nach der Aufführung des Stücks, und heute kommt er nach der Aufführung der Schlittenfahrt.
    Ich bin doch begierig, ob er mit dabei war. War er's, so sag ihm, wie sehr es mich verletzt hat. Oder sag es lieber nicht.«
    Frau von Carayon war bewegt. »Ach, meine süße Victoire, du bist zu gut, viel zu gut. Er verdient es nicht; keiner.« Und sie streichelte die Tochter und ging über den Korridor fort in den Salon, wo Schach ihrer wartete.
    Dieser schien weniger befangen als sonst und verbeugte sich, ihr die Hand zu küssen, was sie freundlich geschehen ließ. Und doch war ihr Benehmen verändert. Sie wies mit einem Zeremoniell, das ihr sonst fremd war, auf einen der zur Seite stehenden japanischen Stühle, schob sich ein Fußkissen heran und nahm ihrerseits auf dem Sofa Platz.
    »Ich komme, nach dem Befinden der Damen zu fragen und zugleich in Erfahrung zu bringen, ob die gestrige Maskerade Gnade vor Ihren Augen gefunden hat oder nicht.«
    »Offen gestanden, nein. Ich, für meine Person, fand es wenig passend, und Victoire fühlte sich beinah widerwärtig davon berührt.«
    »Ein Gefühl, das ich teile.«
    »So waren Sie nicht mit von der Partie?«
    »Sicherlich nicht. Und es überrascht mich, es noch erst versichern zu müssen. Sie kennen ja meine Stellung zu dieser Frage, meine teure Josephine, kennen sie seit jenem Abend, wo wir zuerst über das Stück und seinen Verfasser sprachen. Was ich damals äußerte, gilt ebenso noch heut. Ernste Dinge fordern auch eine ernste Behandlung, und es freut mich aufrichtig, Victoiren auf meiner Seite zu sehen. Ist sie zu Haus?«
    »Zu Bett.«
    »Ich hoffe nichts Ernstliches.«
    »Ja und nein. Die Nachwirkungen eines Brust- und Weinkrampfes, von dem sie gestern abend befallen wurde.«
    »Mutmaßlich infolge dieser Maskeradentollheit. Ich beklag es von ganzem Herzen.«
    »Und doch bin ich eben dieser Tollheit zu Danke verpflichtet. In dem Degout über die Mummerei, deren Zeuge sie sein mußte, löste sich ihr die Zunge; sie brach ihr langes Schweigen und vertraute mir ein Geheimnis an, ein Geheimnis, das Sie kennen.«
    Schach, der sich doppelt schuldig fühlte, war wie mit Blut übergossen.
    »Lieber Schach«, fuhr Frau von Carayon fort, während sie jetzt seine Hand nahm und ihn aus ihren klugen Augen freundlich, aber fest ansah, »lieber Schach, ich bin nicht albern genug, Ihnen eine Szene zu machen oder gar eine Sittenpredigt zu halten; zu den Dingen, die mir am meisten verhaßt sind, gehört auch Tugendschwätzerei. Ich habe von Jugend auf in der Welt gelebt, kenne die Welt und habe manches an meinem eignen Herzen erfahren. Und wär ich heuchlerisch genug, es vor mir und andern verbergen zu wollen, wie könnt ich es vor
Ihnen

    Sie schwieg einen Augenblick, während sie mit ihrem Batisttuch ihre Stirn berührte. Dann nahm sie das Wort wieder auf und setzte hinzu: »Freilich es gibt ihrer, und nun gar unter uns Frauen, die den Spruch von der Linken, die nicht wissen soll, was die Rechte tut, dahin deuten, daß das Heute nicht wissen soll, was das Gestern tat. Oder wohl gar das Vorgestern! Ich aber gehöre nicht zu diesen Virtuosinnen des Vergessens. Ich leugne nichts, will es nicht, mag es nicht. Und nun verurteilen Sie mich, wenn

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