Schach von Wuthenow
Bekannte, die des Wegs kamen, anzusprechen. Sie vermieden aber ein Gespräch und wurden sichtlich verlegen. Auch Zieten kam, grüßte nonchalant und, wenn nicht alles täuschte, sogar mit hämischer Miene. Schach sah ihm nach und sann und überlegte noch, was die Suffisance des einen und die verlegenen Gesichter der andern bedeutet haben mochten, als er, einige hundert Schritte weiter aufwärts, einer ungewöhnlich großen Menschenmenge gewahr wurde, die vor einem kleinen Bilderladen stand. Einige lachten, andre schwatzten, alle jedoch schienen zu fragen, »was es eigentlich sei?« Schach ging im Bogen um die Zuschauermenge herum, warf einen Blick über ihre Köpfe weg und wußte genug. An dem Mittelfenster hing dieselbe Karikatur, und der absichtlich niedrig normierte Preis war mit Rotstift groß daruntergeschrieben.
Also eine Verschwörung.
Schach hatte nicht die Kraft mehr, seinen Spaziergang fortzusetzen, und kehrte in seine Wohnung zurück.
Um Mittag empfing Sander ein Billet von Bülow:
»Lieber Sander. Eben erhalt ich eine Karikatur, die man auf Schach und die Carayonschen Damen gemacht hat. In Zweifel darüber, ob Sie dieselbe schon kennen, schließ ich sie diesen Zeilen bei. Bitte, suchen Sie dem Ursprunge nachzugehn. Sie wissen ja alles und hören das Berliner Gras wachsen. Ich meinerseits bin empört.
Nicht
Schachs halber, der diesen ›Schach von Persien‹ einigermaßen verdient (denn er ist wirklich so was), aber der Carayons halber. Die liebenswürdige Victoire! So bloßgestellt zu werden. Alles Schlechte nehmen wir uns von den Franzosen an, und an ihrem Guten, wohin auch die Gentilezza gehört, gehen wir vorüber. Ihr B.«
Sander warf nur einen flüchtigen Blick auf das Bild, das er kannte, setzte sich an sein Pult und antwortete:
»Mon genéral! Ich brauche dem Ursprunge nicht nachzugehen, er ist
mir
nachgegangen. Vor etwa vier, fünf Tagen erschien ein Herr in meinem Kontor und befragte mich, ob ich mich dazu verstehen würde, den Vertrieb einiger Zeichnungen in die Hand zu nehmen. Als ich sah, um was es sich handelte, lehnt ich ab. Es waren drei Blätter, darunter auch ›Le choix du Schach‹. Der bei mir erschienene Herr gerierte sich als ein Fremder, aber er sprach, alles gekünstelten Radebrechens unerachtet, das Deutsche so gut, daß ich seine Fremdheit für bloße Maske halten mußte. Personen aus dem Prinz R.schen Kreise nehmen Anstoß an seinem Gelieble mit der Prinzessin und stecken vermutlich dahinter. Irr ich aber in dieser Annahme, so wird mit einer Art von Sicherheit auf Kameraden seines Regiments zu schließen sein. Er ist nichts weniger als beliebt. Wer den Aparten spielt, ist es nie. Die Sache möchte hingehn, wenn nicht, wie Sie sehr richtig hervorheben, die Carayons mit hineingezogen wären. Um
ihret
willen beklag ich den Streich, dessen Gehässigkeit sich in diesem
einen
Bilde schwerlich erschöpft haben wird. Auch die beiden andern, deren ich eingangs erwähnte, werden mutmaßlich folgen. Alles in diesem anonymen Angriff ist klug berechnet, und klug berechnet ist auch der Einfall, das Gift nicht gleich auf einmal zu geben. Es wird seine Wirkung nicht verfehlen, und nur auf das ›Wie‹ haben wir zu warten. Tout à vous. S.«
In der Tat, die Besorgnis, die Sander in diesen Zeilen an Bülow ausgesprochen hatte, sollte sich nur als zu gerechtfertigt erweisen. Intermittierend wie das Fieber, erschienen in zweitägigen Pausen auch die beiden andern Blätter und wurden, wie das erste, von jedem Vorübergehenden gekauft oder wenigstens begafft und besprochen. Die Frage Schach-Carayon war über Nacht zu einer cause célèbre geworden, trotzdem das neubegierige Publikum nur die Hälfte wußte. Schach, so hieß es, habe sich von der schönen Mutter ab- und der unschönen Tochter zugewandt. Über das Motiv erging man sich in allerlei Mutmaßungen, ohne dabei das Richtige zu treffen.
Schach empfing auch die beiden andern Blätter unter Couvert. Das Siegel blieb dasselbe. Blatt zwei hieß »La gazza ladra« oder »Die diebische
Schach
-Elster« und stellte eine Elster dar, die, zwei Ringe von ungleichem Werte musternd, den unscheinbareren aus der Schmuckschale nimmt.
Am weitaus verletzendsten aber berührte das den Salon der Frau von Carayon als Szenerie nehmende dritte Blatt. Auf dem Tische stand ein Schachbrett, dessen Figuren, wie nach einem verlorengegangenen Spiel und wie um die Niederlage zu besiegeln, umgeworfen waren. Daneben saß Victoire, gut getroffen, und ihr zu
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