Schadrach im Feuerofen
Mord glaubt, irgendwo in den Tiefen dieses großen Gebäudekomplexes nichtsdestoweniger Anstalten trifft, Roger Buckmaster dem peinlichen Verhör zu unterziehen, obgleich Buckmaster mit großer Wahrscheinlichkeit unschuldig ist, weil er an diesem Morgen kaum imstande gewesen sein konnte, jemanden umzubringen. Und im Schlafzimmer des Vorsitzenden liegt unterdessen dieser uralte Mann, der seinen nahezu tödlichen Schock so gut wie überwunden hat, zwischen Schlauchleitungen und Meßgeräten im Bett und plant mit verrückter Hingabe, wie er die Erinnerung an den hingeschiedenen Stellvertreter am besten heiligen und wie er seine mutmaßlichen Mörder zerstören kann. Genug, mehr als genug: zuviel. Die Sperre öffnet sich vor ihm, läßt ihn durch, und er kehrt eilig in seine Wohnung zurück.
Wie friedlich es hier ist! Während seiner Abwesenheit ist Nicki Crowfoot gekommen und erwartet ihn im Wohnzimmer. Sie ist frisch gewaschen und hat von der Dusche noch feuchtes Haar, sieht aber übernächtig und matt aus. »Nachdem ich heute sowieso zu spät ins Labor komme«, sagt sie lächelnd, »habe ich unterwegs bei dir hereingeschaut.« Ihr Gesichtsausdruck verändert sich, und sie sieht ihn fragend an. »Aber wo kommst du her? Warum bist du halb angezogen? Was ist geschehen?«
»Alles. Mangu ist tot, den Vorsitzenden traf beinahe der Schlag, als er es erfuhr; Buckmaster ist verhaftet worden, eine allgemeine Säuberungswelle gegen unzuverlässige Elemente läuft an, Horthy ist…«
»Warte!« ruft sie und springt auf. »Tot? Mangu? Wie?«
»Fiel aus dem Fenster. Sprang oder wurde gestoßen.«
»Oh!« Sie erbleicht. »O Gott. Wann war das?«
»Vor vielleicht einer halben Stunde.«
Sie beißt mit den kräftigen Vorderzähnen in die Unterlippe und beginnt im Zimmer auf und ab zu wandern, den Blick angestrengt auf den Fußboden gerichtet. Nach einer Weile bleibt sie stehen, sieht ihn an und fragt: »Aus welchem Fenster?«
»Seinem eigenen, natürlich«, sagt er verdutzt. »Dem Schlafzimmerfenster, soviel ich weiß.«
»Von oben also«, murmelt sie kopfschüttelnd. »Dann muß sein Körper zerschmettert worden sein.«
»Das ist anzunehmen. Aber was…«
»Ach, Schadrach! Mein Projekt!«
»Was ist damit?«
»Ich weiß, es hört sich unmenschlich an, aber was soll jetzt aus meinem Projekt werden? Ohne Mangu…«
»Ach«, sagte er stumpfsinnig. »Daran habe ich nicht gedacht.«
»Du weißt, er war vorgesehen, um als…«
»Ja. Sag es nicht.«
»Es ist schlecht von mir, diese Reaktion zu haben«, murmelt sie.
»War das ganze Projekt auf Mangu als den einzigen und spezifischen Empfänger abgestellt?«
»Nicht unbedingt. Aber… ich verstehe das nicht. Wer sollte ein Interesse daran gehabt haben, Mangu umzubringen? Was geht vor? Glaubst du, daß es einen Aufstand geben wird, Schadrach?«
»Mangu könnte Mangu umgebracht haben«, sagt er ihr. »Bis jetzt weiß niemand Genaueres. Avogadros Leute entdeckten keinerlei Anzeichen von fremden Eindringlingen in seiner Wohnung.«
»Trotzdem haben sie Buckmaster verhaftet?«
»Wegen des Unsinns, den er letzte Nacht in Karakorum von sich gab, nehme ich an. Aber sie haben Horthy nicht verhaftet, der genauso aufrührerisches Zeug faselte. Horthy war derjenige, der dem Vorsitzenden die Nachricht von Mangus Tod brachte. Viel fehlte nicht, und er hätte den alten Mann durch den Schock getötet.«
Nicki blickte nachdenklich auf und sagt: »Wer weiß, vielleicht bezweckte er genau das.«
11
Die Lage beruhigte sich. Die Botschaften aus dem Innern des Vorsitzenden lassen erkennen, daß die Krise vorüber ist. Die Heilung schreitet voran, und die Aufregungen des Morgens werden keine ernsten Folgen haben. Schadrach aber fühlt sich wurzellos, desorientiert. Die Anspannung der Operation, die Nacht in Karakorum, zuwenig Schlaf und das Durcheinander nach Mangus Tod haben ihn erschöpft und seinen Geist umnebelt. Aber er wird den Tag irgendwie durchstehen.
Nach dem zweiten Vormittagsbesuch beim Vorsitzenden geht er in die Vorhalle und sieht sich um. Es ist ruhig geworden; die hohen Tiere haben sich wieder ihren Geschäften zugewandt, und nur drei niedrige Chargen halten Wache, ein junger chinesischer Offizier der Volksmiliz und ein paar von Avogadros Leutnants. Schadrach hat kein Verlangen, in den Bereich des Revolutionsrates einzudringen und sich die Diskussionen anzuhören, und kehrt durch das Büro und den kleinen Speisesaal des Vorsitzenden in seine Wohnung zurück. Wie immer ist
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