Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schadrach im Feuerofen

Schadrach im Feuerofen

Titel: Schadrach im Feuerofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
er nicht versteht. Wenn er bei ihr ist, hat er immer das Gefühl, auf der Hut sein zu müssen – nur weiß er nicht, wovor.
    »Sieh mal!« sagt sie mit einer triumphierenden Armbewegung.
    Er folgt ihr durch das Laboratorium zu der einzigen, nicht verstellten Fläche, einer Art Montageplattform, auf der das derzeitige Arbeitsmodell des künstlichen Vorsitzenden unter einer grellen Punktlichtlampe sitzt. Der Roboter ist von eineinhalbfacher Lebensgröße, eine massive, etwas plump geratene Imitation des Vorsitzenden, die so weit getrieben wurde, daß man die Metallarmaturen mit Plastikhaut überzogen und in Kleidungsstücke gesteckt hat. Nur der Oberkörper ist fertig; unterhalb des Zwerchfells scheint die ganze Gestalt sich in Aluminiumrohre, Antriebswellen, Gelenke und Massen von verschiedenfarbigen Kabeln aufzulösen. Während Schadrach das Ungetüm mit gemischten Gefühlen betrachtet, streckt der Ersatzvorsitzende den rechten Arm aus und winkt ihn mit einer ungeduldigen kleinen Handbewegung, die überraschend menschlich ausfällt, näher.
    »Geh nur«, sagt Katja Lindman.
    Er nähert sich dem Roboter. Als er auf drei Meter heran ist, bleibt er stehen und wartet. Der Kopf des Automaten wendet sich ihm zu, und die Lippen entblößen das Gebiß in einem unverkennbaren Grinsen, dem humorlosen, schrecklichen Grinsen des Vorsitzenden, das sich langsam in den Winkeln der ledrigen Wangen bildet, ein Grinsen, das sich selbst zu beglückwünschen scheint. Fast unmerklich glätten sich die Züge wieder, ohne erkennbaren Übergang; nun blickt der Roboter finster auf seinen Besucher herab, und der Zorn des Vorsitzenden verdunkelt den Raum. Und dann ein Lächeln. Ein kaltes Lächeln, denn ein anderes kennt der alte Mann nicht. Gleichwohl läßt es einen aufatmen, so arktisch es ist; und es läßt sich nicht leugnen, daß dieses Lächeln eine unglaublich lebensechte Nachbildung des Originals ist. Und schließlich das Zwinkern, das berühmte Zwinkern des Alten, dieses schlaue, entwaffnende Zufallen des schweren Augenlids, das alle scheinbare Wildheit auslöscht und ein ermutigendes Gefühl von Perspektive und von gesundem Menschenverstand vermittelt: Nimm mich nicht so ernst, Freund, ich bin nicht der Größenwahnsinnige, für den du mich hältst. Und dann, gerade als das Zwinkern seine Wirkung getan hat, und der Schrecken, den Dschingis Khan II. Mao mit einem Blick erzeugen kann, sich verflüchtigt hat, nimmt das Gesicht seinen ursprünglichen Ausdruck an, eisig, fremd, abweisend.
    »Nun?« fragt Katja Lindman nach einer Weile.
    »Spricht er nicht?«
    »Noch nicht. Das ist der nächste Schritt.«
    »Das ist also dann die ganze Schau?«
    »Ja. Das hört sich an, als wärst du enttäuscht.«
    »Irgendwie erwartete ich mehr. Das Grinsen habe ich schon gesehen.«
    »Aber nicht das Zwinkern. Das Zwinkern ist neu.«
    »Trotzdem, Katja – du fügst hier und dort eine Feder hinzu, aber das ergibt noch längst keinen Adler.«
    »Was hattest du erwartet? Einen gehenden, sprechenden Vorsitzenden? Die komplette Nachbildung über Nacht!« Seine Enttäuschung verärgert sie offensichtlich: sie schnappt nach Luft wie ein Karpfen, wobei die scharfen kleinen Schneidezähne zu sehen sind, die ihn immer an ein Raubtier erinnern. »Wir sind hier noch immer im Anfangsstadium. Aber ich dachte, das Zwinkern würde dir gefallen. Mir gefällt es jedenfalls.« Ihre Züge glätten sich, sie hat sich schon wieder beruhigt. »Es tut mir leid, daß ich dir die Zeit gestohlen habe. Ich hatte solchen Spaß mit dem Zwinkern, daß ich dich daran teilhaben lassen wollte.«
    »Es ist ein fantastisches Zwinkern, Katja, und ich weiß wohl, daß eine Menge Arbeit darin steckt.«
    »Übrigens wird Projekt Talos durch Mangus Tod sehr an Bedeutung gewinnen. Nicki Crowfoots ganze Arbeit war darauf gerichtet, die Persönlichkeit des Vorsitzenden in die neuralen Reaktionen von Mangus lebendigem Geist und Körper zu integrieren. Damit ist es nun vorbei, dieser ganze Zugang muß aufgegeben werden.«
    Schadrach versteht genug von Nickis Arbeit, um zu wissen, daß dies nicht ganz richtig ist; Mangu war in der Tat die Person, auf welche das Avatara-Programm zur Persönlichkeitsverschlüsselung angelegt war, doch war mit der Verwendung von Mangus Person keine Ausschließlichkeit verknüpft; nach der geeigneten Anpassung kann das Projekt durchaus auf einen anderen Körperspender eingestellt werden. Aber es ist nicht nötig, Katja Lindman das zu sagen, wenn sie sich in dem

Weitere Kostenlose Bücher